Singt, wenn sie spricht, erzählt, wenn sie singt, läßt uns die Erde spüren, auf der wir gehen, meine Freundin Maria ...



Ina Kutulas
Nachhauseweg

Maria verlangt es oft nach heiteren Liedern. Wenn sie darüber nachdenkt, welche Titel sie für ein nächstes Konzert in ihr Programm aufnehmen will, hört man sie häufig sagen: „Wir brauchen unbedingt noch zwei oder drei fröhliche Lieder.“ Das Eigentümliche dabei ist, dass Heiterkeit doch auch eine dunkle Seite hat. Und dass in dem Moment, wo man die traurigen Lieder heiter singt, diese nicht selten geradewegs an die Grenze eines Schmerzes führen, der berührt und verändert.

Maria, ein Kind zweier Menschen, die von verschiedenen Inseln kamen, eine, die aufwuchs in einem Athener Stadtviertel voller Leute, die ihre Wurzeln in Kleinasien hatten, und die zudem eine Zeitlang wegen Polyomelitis isoliert von anderen zubringen musste, Maria scheint das Aufbegehren gegen den Verlust von Heiterkeit tief erfahren zu haben. Sie beherrscht nicht nur die hohe Schule, ein trauriges Lied fröhlich zu singen, was sie besonders auch von ihrem Mentor Theodorakis lernte, sondern Maria vermag zudem ein weiteres: fröhliche Lieder desillusioniert zu singen. Eine Kunst, in dessen Dienst sich wohl nicht viele Künstler stellen mögen. Aber wenn die Persönlichkeit eines Interpreten mit dem Eigenleben eines Werks, eines Liedes verschmilzt und beider Kosmen ineinander aufzugehen beginnen, kann die seltsame Seite des Schmerzes offenbar werden: seine ihm entgegen wirkende Kraft. Maria verlangt es nach heiteren Liedern, um diese singend zu läutern und dadurch dem anzuverwandeln, was der heutigen Welt Not tut: beharrliche Sanftheit.

Der Asylant, Exilant, Immigrant, Migrant – jeder, der gezwungen ist, seinen Weg neu zu suchen, seinen Platz zu wechseln, seine Heimat, auch die innere, aufzugeben, könnte in Maria eine Begleiterin finden.

In ihrem Programm erfahren wir nicht nur etwas über die verschiedenen geistigen Heimatorte der welterfahrenen Maria Farantouri und darüber, wie sie von einem zum anderen geht, durch lichte und dunkle Gegenden, unter- und überirdische, sondern wir erleben auch, dass Maria vor allem für sich selbst steht, für das, was sie uns so vertraut hat werden lassen. Mit so überraschend sich treu bleibender Eigenheit, dass wir ihre Stimme deutlich sogar in uns selbst zu hören vermögen. Noch, wenn das Konzert zu Ende ist, noch auf dem Nachhauseweg, noch dort, wo wir der Sängerin am fernsten sind, in unseren eigenen vier Wänden – und ihr dort vielleicht wieder am nächsten. Dort, wo auch immer wir uns verlieren wie Zeiten und Orte an einen verbindenden Weg.

Mit jedem Lied ihres Programms erzählt Maria uns etwas über sich selbst. Und sicher werden wir am Ende dieses Berichts nicht widerstehen können, ihn noch einmal hören zu wollen, Marias Weg zu folgen, um mitzuerleben, wie die Sängerin, als habe sie die Seele eines alten Kameraden in sich aufgenommen, entgegen einem weisen Ratschlag, in der dunkelsten Gegend sich umschaut nach dem, was sie liebt und unwiederbringlich zu verlieren fürchtet.

© Ina Kutulas, 2010



Folgend einige Übertragungen von Liedern Marias. Es handelt sich allesamt um Texte von Theodorakis-Liedern.


Manos Eleftheriou
Das Orakel

Ein falscher Orakelspruch wurde mir verkündet
ich gab dir die Hand
und der ganzen Welt Qual
sproß hervor und wurde Sehnsucht
und der Sommer blühte auf.

Auf deine schwarze Uniform, auf dein schwarzes Pferd
stickte ich einen schwarzen Vogel
und einen roten Sonnenaufgang
auf die Träne, die deine.

Das Verderben wählte die Nacht und der Traum die Messer
das Orakel war falsch
daß der Fluß zurückkehren wird
zusammen mit zehn Tauben.


Mikis Theodorakis
Ich hatte drei Leben

Ich hatte drei Leben
das eine nahm der Sturm
das andere der Regen
und mein drittes Leben
eingeschlossen in zwei Blicke,
das ertrank in Tränen.

Ich blieb allein
ohne ein Leben, ohne viele
das eine nahm der Sturm
das andere der Regen.
Ich blieb allein, ich mit dem Drachen
in der großen Höhle.

Ein Flammenschwert halt ich, ich halt einen Säbel.
Ich werd dich erdrosseln, dich töten
werd dich vernichten, dich zerfetzen
über meinem Leben.
Weil ich drei Leben hab,
eins um zu schmerzen,
das andere um zu wollen
und das dritte um zu siegen.


Kostas Karyotakis
All mein Zeug

All mein Zeug blieb
als wär ich vor Zeiten gestorben
Staub zu Staub - so füllte sich das Land
und ich schreib mit den Fingern Kreuze.
Es war eine schöne Stunde damals,
ein herrlicher Abend war’s.
Ich bin nun schon Jahre tot,
und das Fenster blieb zu.


Kostas Karyotakis
Abend

So lieblich vorgestern der Abend ...
Mein Denken nächtigt träumerisch
im Garten, am See, im Gewächshaus,
wo Rosen sich schlossen wie Leidenschaften,
und an den Fenstern erstarb der Tag.

So lieblich vorgestern der Abend ...

Eine noch ungestillte Sehnsucht
wurde Stern. Eine Wolke, dort drüben
wuchs sich aus (gleich dem Leichentuch, das mit Bedacht
webt das Schicksal Mutter).

So lieblich vorgestern der Abend ...

Wenn meine Ehrfurcht unerklärlich zunimmt,
schwindet des Gewächshauses letzte Rose,
und der See wird bedeckt sein mit toten Blättern.
Die Sterne rückten näher, Sehnsüchte, näher heran, von dort drüben.

So lieblich war vorgestern der Abend.


Ina Kutulas
Abschied

Wie zum Mond, der dort brennt, so steig ich zu dir auf
Unten schreien Züge schrill, das Meer füllt sich mit Staub
Leergetrunken die Flüsse und Seen, wo wir uns entzweit
Auf, jetzt steig ich so trunken, verzweig mich - ein Strom welcher Zeit ...
Über allen Gestirnen, wo schon dein Atem geht
Weiß ich uns längst eins. Doch bin ich spät.

Trüg mich ein Vogel, ein Zauber, würde mir leicht
Leicht, weil in eines anderen Arm sich selbst man erreicht
Wie zu den eigenen vier Wänden, so ziehts mich zu dir hin
Doch was, wenn in diesem Kindertraum mein Schluß ich bin
Nichts ist so sicher, wie was vergeht
Und nur was geht, kehrt wieder
So magst auch du einst wiederkehrn
Wiederkehrn, um ganz in mir zu sein
Doch dieses Ganz ist Schein.


Senghor
Nacht des Sine

Frau, laß ruhen auf meiner Stirn
deine Hände aus Balsam
deine Hände noch sanfter als Lammfell
die hohen Dattelbäume
schwanken im Abendwind
fast unhörbar säuselnd
Wiegenlieder ohne Ende
rhythmische Stille umgibt uns.
Hör ihre Lieder
hör das Pochen unsres dunklen Bluts
das Pulsen Afrikas
im Nebel der verlorenen Dörfer
wirft sich hin und her der ermüdete Mond
in seinem Bett aus lauwarmem Wasser.
Jetzt legt sich der Lärm des Lachens schlafen
das ist die Stunde der Sterne und der Nacht, die träumt
und sich bettet auf jenem Hügel der Wolken, bedeckt von ihrem langen milchweißen Kleid
die Dächer der Häuser schimmern sanft
was sagen sie den Sternen im Vertraun?

... Laß mich aufmerken in der verrauchten Hütte beim schattenhaften Besuch der wohlwollenden Seelen -
mein Kopf an deiner brennend heißen Brust wie Kouskous, der, noch dampfend, gerade aus dem Ofen kam
... laß mich lernen zu leben, bevor ich noch tiefer tauche als der Taucher in die hohe Tiefe des Schlafs.


Dionissis Karatzas
Selbstmord eines Reservemonats

Der Reserveaugust verübte Selbstmord
am Abend der Liebe.
Ein Orchestermeer geleitet hinab seine Seele
zum Unteren Himmel verlorener Monde.
Und die neu rekrutierten Herbstmonate
schwören den Eid auf die Verfassung der Nacht in Gebetsstellung:
Heilig die Liebe, heilig die Sehnsucht
heilig der Tod, Erbarmen mit uns.
Rot die Gefühle zerspringen
meine Liebe zwischen den Sternen verschwand.


Lefteris Papadopoulos
Strefi

Ein sonderbarer Mond schaut mich an
wie ein altes Goldstück - glaub ich - sieht er aus
und mit meinem letzten Traum in der Tasche
wird er geblendet und stöhnt.

Ein sonderbarer Mond sagt mir
einmal werden gemeinsam wir wachen
ein sonderbarer Mond, der weint
zusammen mit des Herzens schwarzem Weinen.

Sonderbarer Mond über den Straßen -
folgt mir und winkt mir zu
und legt seinen Arm um meine Schulter,
und wir gehn rüber zum Strefi-Hügel.


Mikis Theodorakis
Weil er den Anweisungen nicht folgte

Hinter blauer Woge, blauem Himmel
harrt die Mutter, die ich Jahre nicht gesehn,
weil ich den Anweisungen nicht folgte.

Jahre kommen, Jahre gehn, und ich lauf hin und her hinterm Stacheldrahtzaun,
schwarze Tage werd ich zählen, ohne je dich wiederzusehn,
weil ich den Anweisungen nicht folgte.

Partheni, Alikarnassos, Oropos, Koridalos,
der Freiheit Helle erwartet der aufrechte junge Mann,
weil er den Anweisungen nicht folgte.


Brendan Behan
18. November

nahe Macroom
Soldaten in Khaki kamen
in großen Transportwagen.
Die Jungs empfingen sie,
die Jungs der IRA,
mit Handgranaten
jagten sie sie in die Luft.


Brendan Behan
Der lächelnde Junge

An einem Morgen im August
der Tag brach eben an
ging ich hinaus, durchzuatmen
auf der blühenden Ebene.
Ein Mädchen höre ich weinen
hör seine bittere Klage:
Durchstoß mir das Herz
der lächelnde Junge ist tot.
Mutig war er und kühn
nie wieder seh ich ihn
leichten Schrittes gehn
seh ich sein leises Lächeln.
Fluch der Stunde
Fluch dem Augenblick
als vor den Augen der Feinde
der lächelnde Junge starb.

Wär er doch wenistens gefallen
an unseres Ersten Seite
wär er getroffen worden
von einer englischen Kugel
und nicht beim Hungerstreik
einfach im Gefängnis verreckt,
dann könnte ich stolz sein, weil ich verlor
den lächelnden Jungen.
Mein königlich Geliebter
Liebster, darum klag ich dich an,
dir nach und deinen Taten
werd ich bis an mein Ende weinen.
Denn all unsre Feinde
hätt’st du besiegt.
Eine Minute Schweigen für den
unvergessenen lächelnden Jungen.


Lefteris Papadopoulos
Ein etwas andersgeartetes Lied

Ein etwas andersgeartetes Lied
halt ich warm in meiner Brust
ein ipirotisches Lied
das ich hör und das mich krank macht.

Seine Worte sind zwei Schwerter
seine Musik ist ein Messer
und eine sehr tiefe Wunde klafft in ihm
die deine Hände ihm beigebracht.

Ein Liebeslied
das immerzu wehklagt
und mir ständig in die Augen schaut
und meint, mir ähnlich zu sein.


Lefteris Papadopoulos
Der Zauber

Auf Molivos, auf Mitilini
werd ich eine Zauberin finden die auflöst
den Bannfluch der auf dir liegt
und dein Herz verkümmern ließ.

Und wenn der schwarze Zauber verfliegt
unter dem Sternenglanz
schließen wir in eine Muschel uns ein
und umarmen uns in der Tiefe.

Daß keines Menschen Blick uns erreicht
denn Zauber wie Blut
schwinden und fluten zurück
und tyrannisieren die Liebe.

© Übertragen von Asteris & Ina Kutulas

© aller Fotos bei Asteris Kutulas




Hier einige Pressestimmen zu Maria:


... standing ovations für die imposante Diva des griechischen Liedes, die nichts an ihrer Ausstrahlung verloren hat. Ihre Stimme ist ein Geschenk der Götter...
Rheinischer Anzeiger

Joan Baez des Mittelmeeres...
New York Times

Wenn die Farantouri mit volltönender Stimme und warmem Timbre aus ihrem neuen Liederzyklus anstimmt, Erinnerungen an Theodorakis-Klassiker wach werden lässt oder einen erst vor einer Woche geschaffenen Song als Premiere darbietet, da geht ein Kribbeln durch den Körper, kennt die Begeisterung keine Grenzen.
Westdeutsche Zeitung

... gelang der Anti-Diva Farantouri einmal mehr das Kunststück, vor allem die Lyrik-Vertonungen ihres Mentors und Weggefährten Theodorakis mit Verve und leidenschaftlicher Eindringlichkeit zu versinnlichen. Ein Triumph!
Abendzeitung

Geblieben ist die Kraft der Musik und die Faszination einer wunderschönen Stimme.
Nürnberger Nachrichten

Beeindruckend authentisch das Denkmal Maria Farantouri, die sich keinerlei Eitelkeit gönnte.
Süddeutsche Zeitung

Am Ende strömt das Publikum wie benommen hinaus. Über allem liegt ein auch von Glückseligkeit.
Neues Deutschland

Unverändert ist ihre eigenartig dunkle, warme, voluminöse, geschmeidig-schöne Stimme, die noch im Pathos, das dem griechischen Lied häufig eigen ist, unaufgeregt und kraftvoll sanft bleibt.
Berliner Zeitung

Man muss aber wohl doch Maria Farantouri heissen, um diesem melodischen Kosmos aus Melancholie, Trauer und zeitloser Sinnlichkeit mit absoluter stimmlicher Vorahnung jene definitive Form zu geben, die Theodorakis bereits bei der Komposition im Sinn gehabt hat.
Frankfurter Rundschau

Was für eine Sängerin! Ihre neue CD „Asmata“ ist unbedingt ihr Geld wert: Sie kann ohne weiteres einen ganzen Griechenlandurlaub ersetzen!
Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt

... ein Denkmal griechischer Volksmusik...
MDR Kultur

So ausdrucksvoll selbst in Nuancen haben wir die griechische Sängerin kaum zuvor gehört. Exzellent!
Plärrer

Schlicht und einfach "Gesänge" – ASMATA – sind diese 15 Theodorakis-Songs überschrieben, derer sich die Farantouri mit ihrer dunklen und fesselnden Stimme annahm und die sie zu einem Gesamtkunstwerk von überdauernder Poesie verdichtete.
stereoplay

Maria Farantouri singt mit inniger Glut und großer Geste. Die 50-jährige Chansonniere fasziniert noch immer mit dem herbschönen Timbre ihrer verhangenen Altstimme.
Audio

Viel Beifall galt an diesem Abend auch der Sängerin Maria Farantouri, der “Stimme Griechenlands”.
ZDF-Magazin

 

 

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