Wir glaubten, überall sei eine Wanze – in den Betten, den Kisten, den Lampen. Wir mussten sehr lachen, denn wir wussten, die Bestecke zu benutzen. Volker, der einzige Weiße unter den vielen Negern. Er kippte Rotwein über die Hand jeder erschrockenen Frau. Danach war sie abgeschreckt. Manche bildeten sich ein, das sähe man ihm an.

Das Braun ist ein homerisch Dichtendes, dem allerdings die Zunge abgeschnitten wurde. Nur kurze Zeit später lernte es auch mit fehlender Zunge zu sprechen, was bis dahin keinem anderen Wesen vor ihm gelungen war. Allerdings schmerzte dies das Braun heftig, weswegen es sich gezwungen sah, verschiedenste Drogen einzunehmen, die wiederum Halluzinationen auslösten, was sich in Schriften wie „Gegen die symmetrische Welt“ oder „Es genügt nicht die einfache Wahrheit“ niederschlug. Das wurde – vor allem von seinen blutrünstigen Feinden als auch von seinen zahllosen Verehrerinnen – als verzweifelter Versuch gewertet, aus der realen Welt in eine entprägte zu entfliehen, in der dann alles möglich war.

Ich lernte das Braun kennen, nachdem die beiden Auguren Hasi und Nasi mich heimgesucht hatten und ich – getrieben von Angst – Zuflucht bei ihm fand. Das Braun erzählte mir, dass es sich bei den beiden um die „Literaturbeauftragten“ der Stasi handele – die mit allen Schreiberlingen und Szene-Literaten „Kontakt hielten“... Dann kam das Braun zu einer eher hesiod’schen Schlussfolgerung, als es zu mir sagte: „Du bist halt der Neger.“ Ich begriff nicht recht, wie das zu verstehen war, da ich als griechische Wesenheit – wie auch das Braun selbst – mit dem schwarzen Kontinent nicht unbedingt viel zu tun hatte, aber das Braun bestand darauf...

Das Braun war einer der theoretischen Vorbereiter für die spätere antike Schrift „Das Mittagsmahl“ und ebnete damit der Renaissance den Weg in die beste aller möglichen Welten, in der es damals lebte. Zwar warf man dem Braun vor, dass es müllere, aber eigentlich kippelte es immer nur und versuchte sich durch detaillierte Nachforschungen auf dem Gebiet der Nibelungen einen Namen zu machen. So entstand ein Buch über das Schweigen und über die Pflicht zu sprechen. Wer, wenn nicht wir? Es ging dem Braun nicht darum, die Wunden zu ironisieren, auch nicht, die Geometrie des Leidens zu beschreiben, sondern: das Leiden zu historisieren.

Als es in der attischen Demokratie drüber und drunter ging, flüchtete das Braun sich in den Bergbau und wäre dort sicher für immer geblieben, wenn nicht Pestilenzen und Kriege es an seine Bürgerpflichten erinnert hätten. So kam es dazu, dass das Braun auch als Feldherr keine sehr unbedeutende Rolle spielte, was es nicht nur in unzähligen Schlachten unter Beweis stellte, sondern auch dadurch, dass es diese in seiner Kampfschrift „Wir und nicht sie“ für die Nachwelt dokumentierte.

© Asteris Kutulas

 

 

 

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