Frank Lanzendörfer


... nannte und schrieb sich flanzendörfer, wahrscheinlich um seine Verwandtschaft mit pflanzlichen und dörflichen Existenzen zu assoziieren, und gehörte zu den Wenigen, die ich kannte, für die Schreiben nichts anderes war, als eine ins Extrem verbogene Lebensform.

Lanzendörfer lernte ich 1987 durch Johannes Jansen bei der Arbeit an der in der DDR "inoffiziellen" Zeitschrift BIZARRE STÄDTE kennen, für deren ersten Band er GARUNA, ICH BIN gestaltete, eine Collage aus Texten, Fotos, Grafiken und Überarbeitungen; die Autobiographie eines anonymen ICH – so unentschieden zwischen Lanzendörfer und flanzendörfer, dass der Autor mit drei Kreuzen unterschrieb. Er saß tagelang in unserer Pankower Wohnung und schrieb und malte an seinem Geburts-Epos, nachdem Johannes die erste Version des Textes in meinem Atari-Computer abgeschrieben hatte.

Lanzendörfer litt nicht nur an seinem Einzelgängertum, sondern auch an der von ihm so empfundenen, ihn umgebenden Vormundschaft – durch Freunde und Feinde. Im Mai 1988 kam es in meiner Pankower Wohnung zu einer Begegnung der dritten Art, als zwei Stasileute bei mir auftauchten, die Lanzendörfer, der gerade bei mir zu Besuch war, augenzwinkernd grüßten: "Ach, Herr Lanzendörfer, Guten Tag!" Woraufhin ich verdutzt fragte: "Sie kennen sich?" Der jüngere erwiderte: "Kennen, ist gut gesagt! Was, Herr Lanzendörfer! Ich dachte, Sie sind schon längst weg!" Er spielte damit auf einen längst von Lanzendörfer zurückgezogenen Ausreiseantrag an. Die beiden Stasileute wurden unsicher, wie immer, wenn ihnen die konspirative Grundlage genommen war: Ich schwieg, da ich nichts von ihnen wollte, Lanzendörfer saß stumm kippelnd auf einem Stuhl, diese Stummheit dem Raum regelrecht aufzwingend. Nach etwa fünf Minuten einer immer unerträglicheren Stille standen die beiden Stasileute auf und gingen fort.

Diesen Terror der Stille – wie ich es nennen würde – kultivierte Lanzendörfer geradezu wie ein Beamter, der von seinen Papieren nicht aufsah und die Menschen warten ließ, ja diese Art des Terrors gehörte zu den beliebten "Instrumenten", derer er sich bediente, um sich Spannung in den sonst für ihn langweiligen und trostlosen Augenblick zu holen; ähnliche Szenen, in ganz anderen Zusammenhängen, erlebte ich mit ihm immer wieder. Aber er experimentierte – vor allem – an sich selbst und an allen um sich herum, abstands- und kompromisslos. Damit, dass jemand scherzte, kam er kaum klar. Bis er abhob und sich in die Tiefe stürzte ... als er hatte fliegen wollen.


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Ich erinnere mich, daß Lanzendörfer bei unserer ersten Begegnung ein rotes, weißgepunktetes Halstuch trug. Er reagierte, kaum in unsere Küche eingetreten, sehr allergisch auf das dudelnde Radio und forderte mich auf, es sofort auszuschalten. Später fiel noch der Satz, er stamme von Zigeunern ab. Schon während dieser ersten Begegnung beeindruckte mich sein flüchtiges Wesen; er besuchte mich noch ein paar mal, wir trafen uns manchmal auf der Straße, bei Lesungen, auf U-Bahnhöfen, vor allem auf U-Bahnhöfen – doch am „wirklichsten" erschien er mir in seinen Texten, so wie in diesem hier:

ich treffe niemand
niemand sagt mir:
niemand zu hause
also gehe ich
&
niemand ist da
öffnet die tür
& ich
setze mich zu niemand
& sitze
sagt niemand zu mir:
geh, keiner da
bleibe, sagt keiner
ich gehe

Für „Bizarre Städte“ schrieb er, wie gesagt, das „autobiographische Poem", wie ich als Germanist sagen würde, doch besser nicht, Lanzendörfer hatte nichts mit Germanistik im Sinn, also er schrieb den Text GARUNA, ICH BIN!, ein großartiger Wurf, finde ich, der mir allerdings die meiste Kritik einbrachte, wenn es um den 1.Band ging; mit einigen wenigen Ausnahmen (Volker Braun zum Beispiel fand den Text als einer der wenigen hervorragend). Lanzendörfer arbeitete nicht nur verläßlich, es machte ihm sichtlich Spaß, einen Auftrag auszuführen, der ihm freie Hand ließ, sich so auszudrücken, wie er es wollte. So saß er stundenlang an meinem Computer bei mir zu Hause in Pankow und schrieb, druckte aus, malte, collagierte ... Ich hatte ihn um einen zehnseitigen Beitrag gebeten, bekam von ihm aber eine 28seitige Collage im Din-A4-Format – bestehend aus Fotos, Grafiken, Schrift, verschiedenen Texten und Gedichten –, die mich so überzeugte, daß ich sie so, wie sie war, xerokopierte und in den 1.Band aufnahm.
Das werde ich nie vergessen: die Lesungen mit Lanzendörfer, seine zwischenmenschlichen Eskapaden, seine gnadenlosen Urteile über alles und jeden. Das war nicht jedermanns Sache. Ich mochte es sehr, obwohl seine eine für mich eher transzendendierende Welt war, also nicht unbedingt deckungsgleich mit meiner eher rationalistischen Sichtweise der Dinge. Sei standhaft, Frank, wo immer du auch sein magst, "techtels & mechtels"...

© Asteris Kutulas

 

 

 

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