Marion Gräfin Dönhoff und der griechische Bürgerkrieg

DAS JAHR 1951 & DIE KÖNIGIN FRIEDERIKE VON GRIECHENLAND


An Frau Dr. Marion Gräfin Dönhoff
Redaktion DIE ZEIT
bezüglich des Artikels aus der ZEIT Nr. 38, 12.9.1991: „Vor vierzig Jahren: Aus der ZEIT vom 13. September 1951“

Sehr geehrte Frau Gräfin Dönhoff,
ich las gestern Ihren Beitrag „Friederike, Friederike“ in der ZEIT vom 12. September 1991, in dem sich Königin Friederike von Griechenland brüsten darf, humanistische Umerziehungslager für Kommunisten Ende der vierziger Jahre geschaffen zu haben. Gestatten Sie mir bitte – da die Aussagen der Königin nicht nur kommentarlos bleiben, sondern durch den Eindruck Ihres ganzen Beitrags erhärtet werden –, Sie darauf hinzuweisen, daß auf den Verbannungsinseln während des Bürgerkriegs (1946-1949) bis zu 150.000 Linke bzw. Sympathisanten bzw. ehemalige Mitglieder der antifaschistischen Widerstandsbewegung EAM deportiert waren. Inzwischen gibt es genug Zeugnisse (auch auf Deutsch), wie es in diesen Lagern zuging.
Die Behauptung der Königin, es handelte sich um junge Kommunisten, die gezwungen worden seien, ihr bisheriges Leben mit Rauben und Morden zuzubringen, die nicht lachten und noch nie in ihrem Leben gesungen hatten – ist wahrlich ein Hohn gegenüber fast der gesamten linken Intelligenz Griechenlands, die auf den Verbannungsinseln deportiert worden war. Einer ihrer wichtigsten Vertreter, Jannis Ritsos, wurde in diesen „Umerziehungslagern“ fünf Jahre (1948-1952) festgehalten und hat diese Schreckenszeit in seinem Band „Tagebuch des Exils“ (Deutsch: Schwiftingen Verlag, 1979) dargelegt.

Ein anderer jahrelang auf Ikaria und Makronisos (der „Hölle“) Festgehaltener, der Komponist Mikis Theodorakis, hat in seiner Biografie ausführlich das Lagerleben beschrieben. Darin kommt er auch an einigen Stellen auf Königin Friederike zu sprechen. Ich habe mir gestattet, Ihnen zwei entsprechende Auszüge aus dem 3. Band seiner Autobiographie DIE WEGE DES ERZENGELS (1987), die im Dezember dieses Jahres beim Luxemburger Verlag editions phi erscheinen wird, zu notieren:

„... Alle Griechen waren nach dem Bürgerkrieg gebeugt. Nur der Thron, die Fremden, die Oligarchie und die ihnen dienenden politischen und militärischen Kreise sowie die Polizei: sie triumphierten. Für wen wohl hatte Odysseas Elytis geschrieben: „Und sie werden mit Blüten schmücken den Sieger, der leben wird im Gestank der Leichen“? Für Papagos? Oder für Königin Friederike?...
... Die sogenannte Abfärbe-Technik wurde eingeführt. Sie bestand in individuellen und Massenfolterungen, Zwangsarbeit, Durststrafen, moralischen und psychischen Erpressungen. Wenn jemand „zerbrach“, mußte er, um die „Echtheit“ seiner Reue zu beweisen, seinerseits zum Folterer werden. So kam es zu einer erstaunlichen Situation, in der die meisten der „Prügler“, wie sie genannt wurden, ehemalige Häftlinge waren. Man erzählte sich, daß in der Ersten Abteilung nur zwei Offiziere Nationalisten waren. Alle anderen seien ehemalige Linke, hieß es. Das „Abfärben“ wurde systematisch betrieben: Verleugnung der Kommunistischen Partei; Bekehrungs-Briefe an die Bewohner der Heimatgemeinde: Briefe an Unbekannte, deren Adressen dem Telefonbuch entnommen wurden; Reden während der „Stunde zur nationalen Erziehung“ um 11 Uhr vormittags vor der ganzen Abteilung; Teilnahme an Pogromen gegen die hartnäckigen und uneinsichtigen Gefangenen; Teilnahme an Prügelaktionen und Folterungen. Für all diese Aktivitäten gab es ein Heft, in das der Verantwortliche die genaue Anzahl der Briefe, der Reden, Folterungen usw. eintrug. Der Kommandant der Abteilung gab persönlich die Einwilligung zum ersten Athen-Urlaub, die höchste „Anerkennung für einen Gefangenen“. Der Kommandant sah ihn von oben bis unten an, kontrollierte bedächtig dessen Heft und sagte: „Nur dreimal geprügelt, und du willst schon nach Athen? Mach fünfmal draus und komm wieder.“ Er mußte also noch zweimal prügeln, der beaufsichtigende Gendarm trug das kommentierend in sein Heft ein, und dann bekam der Gefangene den ersehnten Athen-Urlaub. Dieser „Abfärbe-Prozeß“ dauerte Monate.
... So breitet sich das Gefühl der absoluten Einsamkeit aus. Du bist allein, ausgeliefert der Gnade der entfesselten Elemente der Natur und des Menschen. Keiner kann dir helfen. Auf Makronisos starben Mythen und Götter. Es starb auch das Wesen, das du Mensch genannt hattest. Du warst zu einem Wurm und die anderen über dir zu Ungeheuern verkommen. Hinzu kommt das ganze Theater, das die Regierung auf Kosten der Gefangenen inszenierte. Und dieses Theater, das „Becken von Siloam“, wie es von den Offiziellen genannt wurde, hatte jeden Tag eine Fortsetzung mit den verschiedenen Verlautbarungen und Besuchen der Königin Friederike und verschiedener Minister bis hin zu ausländischen Journalisten und einheimischen „Persönlichkeiten“. Die Straßen und das Sanatorium wurden weiß getüncht, ins letztere legten sich Gendarmen und spielten die Kranken. Die Zelte mußten gesäubert werden, die Vorderansicht des Lagers wurde hergerichtet. Und hinter alledem Dreck und Hunger, Gefolterte, Verkrüppelte und Tote. Du hast keine Chance, daß dein Martyrium bekannt wird. Du bist isoliert, verurteilt, für immer verloren. Du bist allein, der Gnade deiner erbarmungslosen Folterer ausgeliefert. Da drehst du durch. Irgendeine Schraube in deinem Gehirn oder Nervensystem lockert sich, ein Riemen reißt, und dein Kopf oder deine Hand geraten dir aus der Kontrolle. Der Verrückte von Makronisos ist gewöhnlich ein willenloses Geschöpf mit einem Tick. Ein Geschöpf, das sich in Momenten der Erleuchtung seiner Lage bewußt wird, was anschließend den spastischen Mechanismus nur intensiver auslöst. Noch heute gibt es Menschen, die Tabletten nehmen, im nicht wieder vom Makronisos-Syndrom überwältigt zu werden ...“

Entschuldigen Sie die langen Zitate, die sich weiterführen ließen – aber sie stehen doch in solch einem frappierenden Widerspruch zu den Aussagen der Königin Friederike, daß ich nicht umhin konnte, sie Ihnen mitzuteilen.

Übrigens haben französische Intellektuelle um Aragon und Picasso bereits Ende der vierziger Jahre die Praktiken in den griechischen „Umerziehungslagern“ angeprangert und das königliche Ehepaar deswegen angegriffen, aber auch Bertold Brecht und Stephan Hermlin forderten – wenn ich mich nicht irre – die Auflösung dieser Lager in Griechenland.

Hochachtungsvoll
© Asteris Kutulas, 16.9.1991


Sehr geehrter Herr Kutulas,
ich habe erst Ihren Brief und dann jenen Artikel von vor vierzig Jahren gelesen und dabei ist mir dann wirklich ganz bange geworden.
Ich bin überzeugt, daß Ihre Darstellung und die Zitate zutreffend sind und mein Bericht über die königliche Darstellung sich als abwegig erweist. Aber damals konnte man noch nicht reisen und mußte das, was Leute einem erzählten, für bare Münze nehmen.
Da man einen Artikel von vor 40 Jahren heute nicht berichtigen kann, ist Ihr Brief als Leserbrief leider nicht geeignet, aber für mich persönlich ist er eine gute Lehre, und dafür danke ich Ihnen sehr.

Mit bestem Gruß
Dr. Marion Gräfin Dönhoff
24. Sept. 1991


Es ging um das folgende Zitat aus dem Artikel aus der ZEIT, Nr.38 vom 12. September 1991:

VOR VIERZIG JAHREN
Aus der ZEIT vom 13. September 1951

... „Sie müssen bedenken“, sagte die Königin, „daß die Kinder in Griechenland seit zehn Jahren überhaupt keinen Unterricht mehr gehabt haben. Fast alle Schulen waren zerstört, und die wenigen, die übriggeblieben sind, wurden für andere Zwecke gebraucht. Und Griechenland ist arm; es dauert sehr lange, das Land wieder aufzubauen. Mein Mann aber ist der Meinung, daß die Erziehung der Kinder und die Ausbildung der Jugend wichtiger ist als alles andere, und so ist es uns im vorigen Jahr gelungen, 360 Schulen neu herzustellen. Ah, das ist ein Anblick, wenn man jetzt durch das Land fährt und sieht diese neuen Gebäude in den Dörfern und kleinen Städten! Es sind keine Paläste, aber eigentlich sind es doch die schönsten Häuser überall.“ Und die junge Königin strahlte, so wie wohl nur die Augen ihrer preußischen Vorfahren aufleuchteten, wenn sie an ihre Garnisonen und Regimenter dachten. „Wie steht es mit der sogenannten Umschulung der Kommunisten?“ fragte ich, auf das Problem lenkend, von dem ich wußte, daß es ausschließlich auf Grund der Initiative des Königspaars in Angriff genommen war. „Wir haben damit schon vor der endgültigen Niederwerfung der Kommunisten begonnen“, antwortete die Königin. „Wenn Sie das einmal gesehen hätten, diese Gefangenenlager, in denen junge Kommunisten von 15 bis 19 Jahren hinter Stacheldraht eingepfercht waren. Kinder, die gezwungen worden sind, ihr bisheriges Leben mit Morden und Rauben zuzubringen, die nie lachten, keine Spiele mehr kannten, noch nie in ihrem Leben gesungen hatten und deren Ausdruck mehr dem böser Tiere als dem eines Menschen glich – wenn man das gesehen hat, dann sagte man sich, was ihnen fehlt, ist menschliche Nähe und Wärme.“
„Und da haben wir auf der Insel Leros“, so fuhr die Königin fort, „ganz einfach Siedlungen und Lehrstätten eingerichtet, wo Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr, die sich freiwillig in den Gefangenenlagern meldeten, in völliger Freiheit leben können.“ – „Das Schöne ist“, fiel König Paul ein, „daß die Bewohner der Insel alle mit Feuereifer und ohne jedes Entgelt mitwirken. Auch sie empfinden, daß man bei diesen Menschen nicht eine Doktrin mit einer neuen Doktrin austreiben kann...“
... – Fast könnte man diese Griechen beneiden um ihr Königspaar, das so schlicht und selbstverständlich zupackt und den Mut hat, es anders zu machen als bisher, das Wagnis eingeht, in einem neuen Geist wiederaufzubauen...“

Marion Gräfin Dönhoff

 



Jannis Ritsos
Aus: Tagebücher der Verbannung
(auf Makronissos)


27. Oktober 1948

Hier die vielen Dornen -
braune Dornen, gelbe Dornen,
über die ganze Länge des Tags, bis in den Schlaf hinein.

Passieren die Nächte den Stacheldraht,
bleiben darin von ihren Röcken kleine Fetzen hängen.

Worte, die uns einst gefielen,
sind jetzt ausgeblichen, wie in der Truhe der Kragen des Alten,
wie ein Sonnenuntergang - erloschen auf den Fensterscheiben.

Die Menschen geh'n, ihre Hände gesteckt in die Taschen,
oder gestikulieren manchmal, als wollten sie eine Fliege verscheuchen,
die wieder und wieder auf die selbe Stelle sich setzt,
auf den Rand des leeren Glases oder noch tiefer
auf einen Punkt, unbestimmbar aber von Dauer
wie der Menschen Weigerung, ihn anzuerkennen.


21. November 1948

Vieles verstehe ich langsam nicht mehr.
Das ärgert mich, wie jener löchrige Strumpf
der die magere blasse Wade eines Intellektuellen vorscheinen läßt.
Leute, die Brillen tragen, gefallen mir nicht.

Vielleicht versteht der Mond die Häuser
vielleicht die Häuser ihre Fenster
aber ich verstehe nicht, warum eine Lampe Lampe heißt
wenn in der Nacht die Schiffssirene heult
wenn auf dem Fußboden durcheinanderpurzeln
Lampen, Schiffe, Wochen, Brotkörbe
und ich, hungrig, öffne meinen Mund, daß sie mich füttern
mit einem Bissen vom Brot, das ich ihnen gebe.


25. Dezember 1948

Das Fensterkreuz teilt den Himmel
in kleine Vierecke.

Alles gequält
gleich den Alten, die Löwenzahn sammeln.
Selbst die Steine.

In solch einer Zeit wurde Christus geboren?


27. Dezember 1948

Die Wände vier
ich zähle sie
meine Finger fünf
zähle sie
weißes Laken weißer Dienstag
weißes Pferd
matschiger Schnee
ich kann die Zahl nicht finden
mich unmöglich entscheiden.


23. Januar 1949

Endlich
zeigt dir der Spiegel
deine abgehackten Hände
fortan ohne Hände
Beifall zu spenden
deinem Sieg.


15. Februar 1950

Wo endet dieser Stacheldraht?
Die Schnecken schleppen sich auf den Kleidern der Gehenkten.
Und doch wir kamen nicht auf die Welt
nur um zu sterben.
Wo es doch immer morgens
nach Zitronenschalen duftet.


19. Februar 1950

Eisige Sonne. Wärmt nicht.
Zehn Tage Sturm.
Die Kranken ohne Appetit.
Keiner gesund.
Viel Brot schmeißen wir ins Meer.
Daß wenigstens die Möwen es fressen.
Das Gespräch bricht plötzlich ab.
Wir bleiben außerhalb uns'rer Stimme.
Hören, hören nicht die Wellen.
Unter jedem Wort
ein Toter liegt.


24. Mai 1950

Wir schrieben wundervolle Testamente
nie geöffnete
nie gelesene
denn wir starben nicht.

Wir sagten Sachen
nur einmal gesagte
gaben Sachen fort
nur einmal vergebene

Große Worte
einfach
wie die Löffel im Rucksack
der Ermordeten

Wir sahen die Ewigkeit
sich in ganzer Länge spiegeln
auf den Brillengläsern des Kurzsichtigen
vor zwei Monaten getötet.

Und, stell dir vor, jetzt
vermögen wir nicht mehr
"w i r" zu sagen
ohne die Lider niederzuschlagen
ohne Erröten.

© Deutsche Nachdichtung von Asteris & Ina Kutulas

 

 

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