Ich, verheiratet, ein Sohn. In Rumänien geboren als Kind politischer Emigranten aus Griechenland, Jugend in der DDR, Gymnasium an der Kreuzschule in Dresden, Studium der Germanistik in Leipzig, langjähriger Weggefährte von Jannis Ritsos und Mikis Theodorakis, veröffentlichte über vierzig Bücher (vor allem Publizistik & Übersetzungen/ Nachdichtungen), Hunderte Konzerte (auf der ganzen Welt) und Dutzende CD-Produktionen, später Partner von Gert Hof: Events (auf der ganzen Welt) und kein Ende, jetzt wieder Ich ...
INTERVIEW FÜR DIE MÄRKISCHE ODERZEITUNG (März 1992)
„Samstagsgespräch“ von Henry-Martin Klemt
mit dem Autor, Herausgeber und Übersetzer Asteris Koutoulas
MOZ: Was hat den Griechen Asteris Koutoulas nach Brandenburg verschlagen?
Koutoulas: Mein Vater gehörte zur griechischen Diaspora, die nach dem zweiten Weltkrieg in den griechischen Bürgerkrieg verwickelt war und aus diesem Grunde 1949 Griechenland verlassen mußte – wie etwa 50.000 andere Griechen auch. Zu diesen gehörte auch meine Mutter, und nachdem jeder seinen Weg durch die damaligen Ostblockländer gegangen war, trafen sie sich in Rumänien, heirateten und zeugten mich.
Als die griechischen KP sich 1968 spaltete, verwies Ceausescu einen Teil der griechischen Kommunisten des Landes. So kamen wir nach Dresden. 1974 stürzte die Junta. Mein Vater ist sofort nach Griechenland zurückgekehrt. Meine Mutter blieb noch, bis ich angefangen hatte, in Leipzig Germanistik zu studieren. Dann traf ich meine Frau, heiratete, und wir zogen nach Berlin. 1988 haben wir in Eggersdorf ein Haus gekauft, und seitdem bin ich ein brandenburgischer Grieche.
MOZ: Sie trugen immer einen griechischen Paß in der Tasche, um den manche Sie beneiden mochten. Worin unterschieden sich darüber hinaus Ihre Erfahrungen von denen Ihrer Kommilitonen und Bekannten in der DDR?
Koutoulas: Ich war das Kind von Eltern, die nichts anderes wollten, als in die Heimat zurückkehren. Das war eine grundsätzliche Erfahrung, eigentlich nicht in die Landschaft zu gehören, in der man geboren und aufgewachsen ist. Sie hat in mir einen Kosmopolitismus aufkeimen lassen und schließlich die Frage: Was bin ich, Grieche, Rumäne oder Deutscher? Wobei natürlich die prägenden Dinge in der DDR passiert sind.
MOZ: Wie kam es zu Ihrer Beziehung mit Leuten, die, wie Theodorakis, Ritsos, Seferis, in der Kunst europäische Geltung genießen?
Koutoulas: Als Theodorakis nach zehn Jahren erstmals wieder in der DDR auftreten durfte, 1980 mit dem „Canto General“, wurde ich Dolmetscher der Sängerin Maria Farantouri und ein Jahr später Dolmetscher von Mikis Theodorakis. Seitdem sind wir befreundet, und ich habe Theodorakis fast überall in Europa begleitet. Beim Studium lag es dann auf der Hand, mich mit griechischer Literatur zu beschäftigen. Über einen kleinen Gedichtband, die „Monochorde“, entdeckte ich Jannis Ritsos. Wenn ich las: „Eine gute Maske für schwierige Zeiten – der Mythos“, klangen die Saiten in mir nach. Viele Sätze stimmten auch für die DDR, waren von existentieller Natur und kamen auch meinem Pessimismus entgegen – obwohl das völlig gegen Ritsos’ Intentionen lief. Ich übersetzte die „Monochorde“, und Paul Wiens veröffentlichte sie 1982 in „Sinn und Form“. Das hat mich unheimlich ermutigt, den Weg als Übersetzer und Herausgeber einzuschlagen.
MOZ: Ist diese Bezeichnung als „Pessimist“ tatsächlich frei von Koketterie?
Koutoulas: Ja. Ich bin mit sehr viel Idealismus, in philosophischer Hinsicht, an mein Studium herangegangen und habe über den frühen Lukács und über Schopenhauer mir mein Weltbild zusammengezimmert.
MOZ: Als Kosmopolit aus Erfahrung waren Sie vielleicht auch in die Rolle eines Vermittlers von Kulturen gedrängt.
Koutoulas: Dieses Übersetzen, Nachdichten und Herausgeben ist in gewisser Weise schon ein Sich-Griechenland-nach-Deutschland-Holen. Dabei spielt der „Kosmopolitismus“ eine außerordentliche Rolle. Heimat ist ab einem bestimmten Augenblick ein Feld irgendwo, wo man gut arbeiten kann, in diesem Fall Deutschland. Andererseits ist diese Arbeit in gewisser Hinsicht ein Abarbeiten von Schuldgefühlen.
MOZ: Zum Ergebnis hatte das zunächst einmal 30 Bücher, viele davon im Ausland erschienen, daneben aber lag die Erfahrung mit der Gegenwartskunst der DDR. In der Moritzbastei sagten Sie 1982 bei einem Kaffee zu mir: Der Jugend in diesem Land wird verboten, Jugend zu sein.
Koutoulas: Man verlangte von der Jugend, alt geworden zu sein, bevor man noch jung gewesen ist. Dabei stand sogar bei Lenin, daß es das Vorrecht der Jugend ist, Fehler zu machen. Dieses Vorrecht hat man der Jugend der DDR abgesprochen. Es war alles fertig, und die Jugend hatte nur noch zu sterben innerhalb dieses Systems. Zukunft konnte nicht mehr gedacht werden, weil alles schon vorausbestimmt war.
MOZ: Drei Jahre gaben Sie die unabhängige Publikationsreihe „Bizarre Städte“ heraus. Verlage haben daraus nachgedruckt, die großen Deutschen Büchereien in Ost und West führen sie in ihrem Bestand...
Koutoulas: Durch die Nachdichtungen bekam ich Kontakt mit Heinz Czechowski, Volker Braun und vielen gleichaltrigen Intellektuellen wie Steffen Mensching, Kathrin Schmidt oder Hans Brinkmann. Da merkte ich, daß sehr viele Leute mein Unbehagen teilten. Wir hatten die Erfahrung gemacht, daß man ständig zensiert wurde, daß schon die Redakteure die Zensur im Rückenmark hatten. Andererseits gab es Versuche vieler jüngerer Künstler, eigene Publikationen zu machen, ohne fragen zu müssen: Darf man das?
MOZ: Die Hefte wurden hier gemacht, zum Teil in Westberlin vervielfältigt und am Körper wieder zurückgebracht. Was das für Konsequenzen haben konnte, wußten Sie.
Koutoulas: Während solche Publikationen lange Zeit unterdrückt wurden und die Macher Schwierigkeiten hatten, gab es seit 1985 kaum noch Repressionen. Das heißt, Zeitschriften wie „Mikado“, die Anfang der 80er Jahre erschienen, bereiteten den Boden für eine inoffizielle Literatur in der DDR. Wir begannen bereits mit dem Wissen, daß uns eigentlich nichts passieren kann. Außerdem wurde ich bis 1988 nie mit der Staatssicherheit konfrontiert. Erst als wir die ersten drei Hefte in der Akademie der Künste vorstellten, als wäre eine unabhängige Publikation das Normalste der Welt, waren zwei Herren von der Staatssicherheit bei mir. Auf meine Frage hin, ob ich „Bizarre Städte“ nicht mehr machen solle, antworteten sie, darum gehe es ihnen nicht. Noch am selben Tag informierte ich die meisten Autoren und Grafiker, und zwei von ihnen sagten mir: Ja, das sind die Literaturbeauftragten der Staatssicherheit, „Hasi und Nasi“. In der Moritzbastei in Leipzig war dann die erste wirklich öffentliche Vorstellung der Reihe, und dort wurde ich gefragt, ob wir keine Probleme hätten. Ich sagte: Nein, es ist so, daß die Genossen von der Staatssicherheit bei mir waren, die fördern das auch, und es freut mich, daß die Staatssicherheit in der DDR ebenso wie der KGB in der Sowjetunion die Perestroika unterstützt. Worauf die zwei Genossen wiederkamen und meinten, ich solle sie aus meiner öffentlichen Verlautbarung heraushalten. Sie bekämen Schwierigkeiten, wenn bekannt würde, daß sie jetzt die unabhängigen Dinge unterstützten.
Das war obskur, aber sicherlich entbehrte es nicht einer gewissen Logik und Wahrheit. Sicher gab es Kräfte in der Staatssicherheit, wie im KGB ja auch, die die Lage anders einschätzten als zum Beispiel der FDJ-Zentralrat.
MOZ: Die Auflage der „Bizarren Städte“ schwankte zwischen 29 und 60, hatten einen fast bibliophilen Charakter und erreichten wohl auch dann, wenn man 100 Leser auf ein Exemplar rechnet, kaum eine Breitenwirkung. Worin lag das Feedback für die Macher?
Koutoulas: Erst einmal hat es ganz ordinären Spaß gemacht, Bücher zu produzieren. Das ist wie eine Sucht. Und es war eine Unabhängigkeitserklärung gegenüber allen Idioten.
MOZ: Der Grieche in Brandenburg, wiewohl verwickelt in die geistigen Prozesse dieses Landes, hat die „Wende“ sicherlich anders erlebt als mancher DDR-Bürger.
Koutoulas: Grundsätzlich als etwas Tolles und grundsätzlich als etwas Problematisches. Etwas Tolles, weil: Es mußte einfach aufhören mit diesem Krebsgeschwür; das mußte weg. Natürlich ist für viele Leute, die ein gewisses Sozialismusbild hatten, damit auch ein Denken abgeschnitten. Für mich als Pessimisten ist das nicht so problematisch, aber ich kann nachvollziehen, daß Ideale doch existenziell zum Leben gehören, Träume, innerer Aufbruch, innere Freiheit, das Gefühl: Die Welt gehört mir. Das alles ist wegrationalisiert. Dieses kühle Management hat sich darübergelegt.
Ich habe mit großem Interesse eine Rede von Helmut Kohl gehört, die an die Jugend gerichtet war. Und das einzig ausgesprochene Ideal darin war, daß es doch eine tolle Vision für die Jugend sei, überall in Europa arbeiten und leben zu können. Was ist das für eine „Vision“?
MOZ: Aber haben wir Ex-DDR-Bürger nicht erstmals die Chance, uns in größeren Zusammenhängen zu begreifen; daß die Philosophie vor Marx beginnt, die deutsche Geschichte vor 1945 einsetzt, die Welt vielleicht dort anfängt, wo sie bislang aufhörte für uns?
Koutoulas: Meiner Meinung nach ist Glück wirklich etwas ganz Persönliches. Auch Glücksseligkeit ist privat geworden, und jeder muß einfach für sich glücklich werden. Ob er sich ein Haus kauft oder vormarxsche Philosophie liest – das ist wirklich etwas absolut Privates. Es kann nicht mehr gedacht werden als Bewegung. Damit hat sich auch die existentielle Funktion von Parteien erledigt. Parteien gibt es ja erst seit hundert Jahren, und noch einmal hundert Jahre wird es sie nicht geben. Genauso wie Schule sich erledigt hat, die nur gemacht wurde, um die Natur der Kinder für die Industrie umzufunktionieren, in Unnatur zu verwandeln. Die Maschinen brauchten Genauigkeit, Pünktlichkeit, Disziplin, und seit sie es brauchten, gab es auch die Schulen. Das sind Dinge, die man jetzt anpacken könnte. Obwohl ich glaube, daß die Menschheit nicht mehr viel Zukunft hat.
MOZ: Ist die bürgerliche Vision förderalen Lebens nicht etwas mehr als der von Ihnen beschriebene Partikularismus?
Koutoulas: In dem Augenblick, da die Leute relativ reich sind, ziehen sie sich in ihre vier Wände zurück. Die Mentalität der Deutschen und ihr Besitzstandswahrungsdenken führen zum Verlust an Kommunikation.
In Griechenland kann ich solche Tendenzen nicht sehen. Dort gibt es zum Beispiel keine Gewalt an Schulen. Die Kommunikation ist allgegenwärtig, fast wie eine Sucht. Und das wird sich in absehbarer Zukunft nicht ändern. In Deutschland aber wird es in absehbarer Zukunft in eine andere Richtung gehen. Auch die Angst zum Beispiel um das eigene Heim führt zu solchen Tendenzen. Wenn das Ozonloch groß genug ist, daß ein paar Hunderttausend Hautkrebs haben, wenn das Grundwasser langsam so weit verseucht ist, daß nichts zum Trinken da ist, dann wird es anfangen. Bis dahin muß jeder das mit seinem Gewissen ausmachen. Daß man so wenig Wasser wie möglich verbraucht. Wirklich, jedesmal wenn ich den Wasserhahn aufdrehe, denke ich daran. Oder daß jeder Abfallrest auf den Humus geht.
MOZ: Also auch Privatisierung der Hoffnung.
Koutoulas: Natürlich. Und ich freue mich über jeden schönen Sonnenuntergang. Oder wenn mein Sohn mich in der Kinderkrippe sieht und erkennt, dieser Augenblick ist endlos. Oder bibliophile Bücher, bei denen ich nicht viel verdiene, aber die ich dann zum ersten Mal aufschlage...
Das Gespräch führte Henry-Martin Klemt.
Das vollständige Gespräch unter der Überschrift „Meine Heimat ist, wo ich arbeiten kann“ und mit folgender Einleitung: „Als 1960 geborenes Kind der griechischen Diaspora ist er „Kosmopolit aus Erfahrung“. Seine Weltsicht verdankt der Germanist, Autor, Übersetzer und Herausgeber „dem frühen Lukács ebenso wie dem reifen Schopenhauer“. Sein Pessimismus hat ihn nicht gehindert, in der DDR die unabhängige Publikationsreihe „Bizarre Städte“ herauszugeben und sich „Griechenland nach Deutschland“ zu holen, indem er namhafte Dichter übersetzte und in zehn Jahren 30 Bücher herausgab. Die „Privatisierung des Glücks“ ist für ihn auch eine „Privatisierung der Hoffnung“. Sein Credo: Den Wert einer Sache danach bestimmen, ob sie innovativ ist für das eigene Ich.“, abgedruckt in der MOZ vom 28./29. März 1992.
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