Former Concentration Camp Mauthausen
50 Years of Liberation with Mikis Theodorakis & Maria Farantouri


7.5.1995, Mauthausen (bei Linz)
Staatsakt der österreichischen Regierung mit Rede des Bundespräsidenten. Mikis dirigiert seine „Mauthausen-Kantate“, es singen Maria Farantouri, Gisela May und Elinoar Moav. Vorab bat Mikis das Publikum, ca. 25.000 ehemalige Gefangene und ihre Familien, nicht zu applaudieren. Simon Wiesenthal hielt vor Mikis’ Konzert eine Rede. Sehr bewegend und klar. Darin die denkwürdigen Sätze, die mich tief berührten: „Der Nationalsozialismus, der die Welt beherrschen und versklaven wollte, bestand de facto aus einer Komposition aus Hass und Technologie. Hass ist etwas Furchtbares. Hass ging dem millionenfachen nationalsozialistischen Verbrechen voraus. Wir müssen diese Verbrecher verachten, nicht nur, weil sie unsere Familien hingemordet haben, sondern weil sie die Würde des Menschen zertreten haben und damit auch die Würde Gottes – der die Menschen ja nach seinem Ebenbild erschuf.“

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Mauthausen ist Symbol des Versuchs, nicht nur ein Volk, sondern zugleich die Weisheit eines Volkes auszurotten. Dass dieser Versuch scheiterte und auch zukünftige Versuche dieser Art scheitern werden, steht außer Frage. Das Wirken von Menschen auf allen Kontinenten, Individuen, die in der Entwicklung des Geists durch Forschung, Philosophie, Poesie, Musik den Sinn des Lebens erkennen, dieses Wirken garantiert, dass letztendlich eine menschenwürdige Kultur über Gewalt und Stumpfsinn obsiegt. Die Frage ist, wie teuer uns dieses „letztendlich" zu stehen kommen wird. Denn die Machthaber verschiedenster Couleur übersehen geflissentlich, dass die grundlegenden Ideen vom Zusammenleben der Menschen nicht im Wissen eines Volkes, sondern aller Völker aufgehoben sind.

Anfangs hatten wir, Alekos Karozas und ich, vor, eine Aufnahme von der Aufführung der Mauthausenkantate zu machen, die am 7.5.1995 im ehemaligen Konzentrationslager gespielte wurde, und sie als historisches Dokument zu veröffentlichen. Unter dem Eindruck der Feierlichkeiten anlässlich der Befreiung von Mauthausen – bei denen Ort, Menschen, Reden und Musik tief auf uns einwirkten – fühlten wir, dass wir doch mehr wollten als Vergangenheitsbewältigung.

So kam es zur Idee einer Internationalisierung, einer Verallgemeinerung, Erweiterung des „Projekts" MAUTHAUSEN. Auf der einen Seite Konkretisierung, gleichsam Verneigung vor den vielen – vor allem jüdischen – Opfern der Konzentrationslager der Nazis. Auf der anderen Seite das Akzeptieren des „Phänomens" MAUTHAUSEN als ein uns und unsere Zukunft unmittelbar betreffendes: der hebräische Aufschrei, die englische Ballade. So ergab sich ganz natürlich der Gedanke einer MAUTHAUSEN-TRILOGY: Es entstanden, die griechische Version begleitend, noch eine hebräische und eine englische Studioaufnahme der Mauthausen-Kantate. Sie sind nun in der CD MAUTHAUSEN TRILOGY zugesellt dem Live-Mitschnitt des Auftritts von Maria Farantouri, der ersten Interpretin dieses Werks, mit dem sie vor dreißig Jahren ihre großartige Karriere als Sängerin begann.

© Asteris Kutulas

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Die Mauthausen-Songs gehören zu den bekanntesten Liedern von Mikis Theodorakis. Dieser Zyklus ist wahrscheinlich weltweit das bekannteste Werk, das einem Konzentrationslager gewidmet wird. Er ist tausende Male auf der ganzen Welt in auf griechisch, hebräisch, deutsch oder englisch aufgeführt worden und die vielen CDs mit den verschiedenen Versionen dieses Liederzyklus haben sich millionen mal verkauft. Theodorakis komponierte diese Songs 1964, nachdem ihm der Dichter Jakovos Kambanellis, der selbst jahrelang im KZ Mauthausen gefangen gewesen ist, die vier Texte gegeben hatte. Seit 1965 hat Theodorakis diese Lieder in über 70 Länder aufgeführt, darunter in Israel, im KZ Mauthausen, im Washingtoner Holocaust Museum und im KZ Dachau. Der Liederzyklus gehört zu den emotionalsten und krfatvollsten Werke über das Leid des Holocaust.

The Mauthausen songs are among the most popular songs written by Mikis Theodorakis. It is perhaps the best-known musical composition dedicated to the victims of the concentration camps during der World War II. These songs have been performed thousands of times in Greek, Hebrew, Italian, German, Swedish and English all over the world. Dozens of CDs with different versions of this work reached sales of several million copies during the last 45 years. These songs have been performed by Mikis Theodorakis himself and by many other artists like Zubin Mehta, Maria Farantouri etc. on many locations worldwide, including the Mauthausen concentration camp itself as well as in Israel, at the Washington Holocaust Museum and the Dachau concentration camp. These songs belong to the most emotional and powerfull works about the tragedy of the Holocaust.



Bereits 1995 hatte ich als Produzent von Mikis und Maria (zusammen mit Tim Dowdall) im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen aus Anlaß der 50jährigen Befreiungsfeier ein Konzert organisiert, bei dem die Mauthausenlieder in drei Sprachen aufgeführt wurden: Elinor Moav Veniadis sang auf Hebräisch, Gisela May auf Deutsch und Maria Farantouri auf Griechisch. Simon Wiesenthal hielt eine bewegende Rede. Unser Freund und Partner Christian Denkmeier aus Linz brachte uns alle zusammen.

Fünf Jahre später veröffentlichte ich zusammen mit Alexandros Karozas als Ko-Produzenten eine CD mit der „Mauthausen-Trilogy“, gesungen von Elinor Moav Veniadis auf Hebräisch, Nadja Weinberg auf Englisch und Maria Farantouri auf Griechisch:

Mikis Theodorakis, Mauthausen Trilogy (2000), In Memoriam of Liberation, With a speech of Simon Wiesenthal, Pläne Records, Produced by Asteris Kutulas & Alexandros Karozas.

Simon Wiesenthal erlaubte uns, seine Rede mitzuveröffentlichen und schickte uns auch für das CD-Cover Bilder, die er während seiner Inhaftierung in Mauthausen gezeichnet hatte



Jakovos Kambanellis
MAUTHAUSEN ZYKLUS


Das Hohelied

Wunderschön ist meine Liebste
In ihrem Alltagskleid,
Mit einem Kamm im Haar.
Keiner wusste, dass sie so schön ist.

Ihr Mädchen aus Auschwitz,
Ihr Mädchen aus Dachau,
Habt ihr meine Liebste geseh’n?

Wir sahen sie auf einer langen Reise,
Sie trug ihr Kleid nicht mehr,
Auch keinen Kamm im Haar.

Wunderschön ist meine Liebste,
Von der Mutter behütet,
Vom Bruder beschützt.
Keiner wusste, dass sie so schön ist.

Mädchen aus Mauthausen,
Mädchen aus Bergen-Belsen,
Habt ihr meine Liebste geseh’n?

Auf einem zugigen Platz sah’n wir sie,
Mit einer Nummer auf dem nackten Arm,
Den Davidstern geheftet an ihr Hemd.


Andonis

Dort auf der breiten Treppe,
Auf der Treppe der Tränen,
Im tiefen “Wiener Graben”,
Im Steinbruch der Klagen.

Dort laufen Juden und Partisanen,
Stürzen Juden und Partisanen,
Schleppen Steine auf dem Rücken,
Steine wie das Kreuz des Todes.

Dort hört Andonis die Stimme,
Hört die Stimme, die fleht:
Kamerad, o Kamerad,
Hilf mir die Treppe hinauf!

Doch dort auf der breiten Treppe,
Dort auf der Tränen Treppe
Ist solche Hilfe Schande,
Ist solch ein Mitleid Fluch.

Der Jude stürzt auf der Treppe,
Die Treppe färbt sich rot.
Und du, mein Junge, komm mal her,
Schlepp jetzt einen doppelt so großen Stein.

Ich nehm einen zweimal, dreimal so großen.
Ich heiße Andonis,
Und bist du ein Mann, komm her,
Auf den marmornen Druschplatz.


Der Flüchtling

Janos Beer aus dem Norden
Erträgt nicht länger den Stacheldraht.
Er fasst sich ein Herz, ihm wachsen Flügel,
Er flieht durch die Dörfer im Tal.

Frau, gib mir Brot,
Jacke und Schuhe.
Ich hab einen weiten Weg vor mir,
Muss bis ans andere Ufer der Seen.

Doch wohin er auch kommt,
Regier’n Furcht und Schrecken
Und jene Stimme, grausame Stimme:
Haltet euch von dem Flüchtling fern!

Ich bin kein Mörder, ihr Christen,
Kein Ungeheuer, das euch Verderben bringt.
Ich floh aus der Gefangenschaft
Und bin auf dem Weg nach Haus.

Ach, welch tödliches Veröden
Im Land von Bertolt Brecht.
Janos wird der SS ausgeliefert,
Zur Hinrichtung wird er gebracht.


Wenn der Krieg zu Ende geht

Mädchen mit angsterfüllten Blicken,
Mädchen mit eiskalten Händen,
Wenn der Krieg zu Ende geht, vergiss mich nicht.

Alle Freude der Welt – komm ans Tor!
Wir wollen uns auf der Straße umarmen!
Lasst Küsse uns tauschen auf dem Platz!

Wir wollen einander lieben im Steinbruch,
In den Gaskammern,
Auf den Wachtürmen und auf der Treppe.

Uns lieben am helllichten Mittag,
An allen Orten des Todes,
Bis sein Schatten entweicht.


© Übertragen von Asteris & Ina Kutulas


***

Ein guter Freund von mir, der Dichter Iacovos Kambanellis, war während des Zweiten Weltkriegs Gefangener in Mauthausen. Anfang der sechziger Jahre schrieb er seine Erinnerungen auf. Sie tragen den Titel: “Mauthausen”. 1965 verfasste Iacovos außerdem vier Gedichte zu diesem Thema, die er mir gab, damit ich sie vertone. Ich habe das sehr gern gemacht, erstens weil mir die Poesie dieser Texte gefallen hat und zweitens weil ich während der Besatzungszeit selbst inhaftiert war, in Gefängnissen der Italiener und der Deutschen; vor allem aber, weil ich sah, dass wir die Möglichkeit haben würden, mit Hilfe dieser Kompositionen den Jugendlichen die Geschichte in Erinnerung zu rufen, Ereignisse, die niemals vergessen werden dürfen. Die Mauthausen-Lieder richten sich natürlich vor allem an diejenigen, die unter dem Faschismus gelitten und gegen ihn gekämpft haben. Wir alle müssen uns aber immer wieder die Verbrechen der Nazis vor Augen halten, weil das eine Grundbedingung dafür ist, dass sich solche Dinge nicht wiederholen können. Wir sehen täglich, dass der faschistische Geist noch längst nicht erloschen ist. Oft zeigt er nicht sein wahres Gesicht, aber faschistische Kulturen und Mentalitäten gibt es überall auf der Welt. Für uns, die diese Schreckenszeit durchleben mussten, ist die wichtigste Aufgabe, unsere Kinder vor dieser Gefahr zu schützen.

© Mikis Theodorakis
© Übersetzung ins Deutsche: Asteris Kutulas


***

Ich habe überlebt. Als Überlebender bin ich Zeitzeuge. Wenn dieses Überleben im Hinblick auf das Furchtbare, das heute unter dem Begriff HOLOCAUST zusammengefaßt wird, überhaupt einen Sinn gehabt haben soll, dann doch vor allem den, das Erinnern an das Unvorstellbare wachzuhalten, das Vergessen und Verdrängen zu verhindern und all das in die Vision einer besseren Zukunft einzubauen, in der Derartiges oder Ähnliches nie mehr irgendwo auf dieser Erde geschehen kann.
Wir Überlebende sind dem Schicksal dankbar, daß der heutige Akt des Gedenkens stattfinden kann und die ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Verbrechen des Nationalsozialismus nicht dem Vergessen überlassen wurden. Ich gedenke der Opfer des unvorstellbaren Massenmordens, in dem meine Mutter, die Mutter meiner Frau, unsere Verwandten, meine Freunde, meine Kollegen, meine Kameraden aus verschiedenen Lagern, wo wir zusammen waren, und nicht zuletzt die Kameraden des sogenannten Russenlagers in Mauthausen, die mit mir auf dem Todesblock Baracke 6 lagen, zugrunde gegangen sind. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, wir hörten den Ruf: „Sie kommen.“ Es waren damit die Amerikaner gemeint. Wer von uns noch die Kraft dazu hatte, schleppte sich aus der Baracke, um dem amerikanischen Tank entgegen zu sehen. Wir waren zu schwach, um näher zu kommen. Viele meiner Kameraden starben in diesem Moment oder Stunden später - ob im Bewußtsein ihrer Befreiung und des Zusammenbruches des Nationalsozialismus, kann niemand sagen.
In gemeinsamer Trauer wollen wir derer gedenken, die heute vor 50 Jahren ihre letzten Stunden hier verbrachten. Der Nationalsozialismus, der die Welt beherrschen und versklaven wollte, bestand de facto aus einer Komposition aus Haß und Technologie. Haß ist etwas Furchtbares. Haß ging dem millionenfachen nationalsozialistischen Verbrechen voraus. Wir müssen diese Verbrechen verachten, nicht nur, weil sie unsere Familien hingemordet haben, sondern weil sie die Würde des Menschen zertreten haben und damit auch die Würde Gottes - der die Menschen ja nach seinem Ebenbild erschuf.
Die Welt hat Hitler und das nationalsozialistische Regime viel zu lange unterschätzt. Diese Fehleinschätzung hatte tragische Folgen. Versuchungen zum Unrecht gibt es immer wieder, auch in einer so offenen, so freien Gesellschaft, wie wir sie jetzt in Österreich haben. Je mehr wir uns uneingeschränkt der ganzen Geschichte erinnern, umso leichter wird es uns fallen, solchen Versuchungen zu widerstehen und gemeinsam eine moralisch wertvolle Zukunft zu bauen.
Würden wir vergessen, verdrängen oder das Geschehen verfälschen, käme das Gestern unbewältigt immer wieder auf uns zu und würde uns und unsere Nachkommen daran hindern, das Morgen richtig und menschenwürdig zu gestalten.
Das sagt Ihnen einer, der Mauthausen auf dem Todesblock wie durch ein Wunder überlebt hat.

© Simon Wiesenthal
Rede, gehalten auf dem Appelplatz des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen, 1995 (als Audiotrack veöffentlicht auf der CD Mauthausen Trilogy)

 

 

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