With Mikis on the road II: Budapest

Mr. Nikos Kazantzakis invites Mr. Theodorakis for a cup of tee (and he writes his Zorba Ballet)



Einige Fragen zur Entstehung des Zorbas-Balletts und zu Kazantzakis


Asteris Kutulas: Hast du wegen deiner Herkunft von der Insel Kreta eine besondere Affinität zu der Gestalt des Zorbas? Gibt es tatsächlich diesen Kreter, wie er vom Schriftsteller Kazantzakis und später dem Regisseur Cacoyannis als literarische Gestalt und Film-Figur entworfen wurde?

Mikis Theodorakis: Zorbas ist nicht Kazantzakis’ Vorstellung entsprungen. Es gibt tatsächlich den Kreter, der diesen spontanen und kompromisslosen Freiheitsanspruch postuliert, und für den das Lied, der Tanz, die Liebe und der Wein Ausdruck seines ureigenen Wesens sind. Zwar haben die Kreter jenen ausgeprägten, ja fanatischen Ehrenkodex. Aber ich würde sagen, er ist rein äußerlich. Für mich besaßen diese alten und neuen Mythen Kretas, die ich Anfang der fünfziger Jahre kennen gelernt hatte, eine große Dosis von Theatralität, und das bezauberte mich. Nicht als Mitspieler, aber als Zuschauer. Ein lebendiges Theater, das den Kreter jedoch bisweilen teuer zu stehen kommt. Die „Blutrache“ beruht bekanntlich auf dem Prinzip und der Philosophie des „Auge um Auge und Zahn um Zahn“. Also auf dem Prinzip der Rache, das für den Kreter das A und O seines Bedürfnisses nach Gerechtigkeit darstellt. Wer schuldig wird, muss zahlen. Wer tötet, wird getötet. Wer einem andern Schmerz zufügt, muss selber Schmerz erleiden – er und die seinen. Darum richtet sich die Blutrache nicht nur gegen den Schuldigen, sondern gegen dessen ganze Familie. Ich konnte mich damit niemals anfreunden.
Ich habe von Kreta wohl jenes Gefühl für den „großen Witz“ mitbekommen, der das Leben ist. Ich distanziere mich in dem Augenblick, da der Witz so „witzig“ wird, dass er den Wert des Lebens zu vernichten droht. Denn kein menschlicher Wert lässt sich meiner Meinung nach mit dem Wert des Lebens aufwiegen. Des Lebens für das Leben – das ist die einzige Wahrheit.

Kutulas: Könntest du etwas über die „Philosophie“ der Zorbas-Story sagen? Was war in dieser Beziehung für dich wichtig?

Theodorakis: Die zentrale Frage, die Buch und Film aufwerfen, ist: Wie finde ich Erlösung vom Konflikt – durch den Tanz oder das Buch? Meiner Meinung nach antwortet Kazantzakis zu absolut. Denn es wäre sicher überspitzt zu behaupten – und gliche eher einer Karikatur –, dass ein Mann, der nur tanzt und trinkt, das Geheimnis des Lebens ergründen könne. Für den heutigen Leser oder Zuschauer ist bei der Story des Buches nur eines außerordentlich wichtig: dass ein Märchen erzählt wird. Die Sehnsucht jedes Menschen, „Tänzer“ zu sein – den Weg der Wahrheit mit dem eigenen Körper zu finden –, wird ernst genommen. Doch die Menschen brauchen alles: den Tanz, das Buch, das Vergnügen, ihre Kämpfe. Diese Synthese war schon immer mein Ideal.

Kutulas: Als der Film gedreht wurde, warst du in Griechenland bereits ein sehr bekannter Mann. Jede deiner Platten wurde zu Hunderttausenden verkauft, und gleichzeitig warst du Parlamentsabgeordneter für die linke EDA-Partei.

Theodorakis: Ja, der „Zorbas“-Film wurde 1964 produziert, also in einer für Griechenland politisch sehr aufgewühlten Zeit. 1967 fand der Putsch statt. In den Jahren davor war ich nicht nur Abgeordneter der linken EDA-Bewegung, sondern auch Vorsitzender der Lambrakis-Jugendbewegung, also völlig hingegeben an die politischen und gesellschaftlichen Kämpfe meiner Heimat. Die Wolken der Junta waren am Horizont schon zu sehen, und wir versuchten, dieser Gefahr zuvorzukommen.
Unter diesen Bedingungen wurde der „Zorbas“-Film gedreht, und zwar auf Kreta. Ich war bei fünf, sechs Drehterminen dabei, aber mehr, um mich auszuruhen. Denn ich schreibe niemals während der Dreharbeiten die Musik, sondern fast immer, wenn sie abgeschlossen sind und der Rohschnitt fertig ist. Aber weil Anthony Quinn und Irene Papas dabei waren und weil eine schöne Atmosphäre herrschte, blieb ich dort. Wie immer, wenn ich mit Cacoyannis einen Film drehte, hatten wir viel Spaß und gingen abends nach der Arbeit in die Tavernen ... Im Übrigen habe ich es ja diesem Film zu verdanken, dass mein Name überall auf der Welt bekannt geworden ist.

Kutulas: Zorbas ist die dominierende Gestalt in Kazantzakis’ Buch, im Film und auch in deinem Ballett. Was für ein Mensch ist er?

Theodorakis: Ich weiß nicht, warum, aber fast alle Menschen identifizieren sich mit ihm oder, besser gesagt, wollen sich mit ihm identifizieren. Er hat etwas Höfliches an sich, vermag einem viel zu geben, zugleich steht er aber auch distanziert sich selbst gegenüber, als Beobachter. Wenn alle Menschen so wären, hätten wir eine andere Gesellschaft.
Zorbas ist sehr volkstümlich, er verkörpert in gewisser Hinsicht den „einfachen“ Menschen; er will sich über keinen erheben und mag alle: die Witwe, Hortense, den Amerikaner; er interessiert sich bis zu einem gewissen Punkt nicht für sich selbst. Solch einen unprätentiösen Menschen findet man heutzutage kaum noch. Denn auch als Erretter tritt er nicht auf, überhaupt nicht, aber er kann überzeugen, stößt sofort zum Wesen der Dinge vor. Und als dann die Witwe ermordet wird, als Hortense stirbt, als das Bauprojekt scheitert, als sich also eine totale Tragödie abspielt, da findet er die Kraft, sich dem Leben zuzuwenden, voranzuschreiten, das Leben so zu nehmen, wie es ist. Deshalb sind die Menschen vielleicht von dieser Gestalt so fasziniert.

© Asteris Kutulas

Den kleinen Film drehte ich im Sommer 1989 während der Aufnahmen des Zorbas Balletts in Budapest. Ich machte ihn fuer Tim Dowdall, der auch der Produzent der Zorbas-Produktion war und dessen Stimme zu hören ist. Neben Mikis Theodorakis dirigierte auch Lukas Karytinos. Es spielte das Ungarische Nationalorchester und der Ungarische Rundfunkchor.
Das weiter oben abgedruckte Interview fuehrte ich auch während unseres damaligen Aufenthaltes in Budapest. A.K.

 

 

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