POETRY IN MOTION II
Theodorakis conducts his Oedipus Tyranos
for string orchestra

Dieser Film gehört zu einer Reihe von Aufnahmen, die ich Mitte der neunziger Jahre gemacht und POETRY IN MOTION genannt habe. Ich hatte sie nicht wegen der Musik festgehalten, sondern weil ich es schon immer faszinierend fand, wie Mikis dirigierte. Wichtig waren mir hier die Bewegung der Hände und des Körpers. Darum auch die schwarz-weiss Konzentration allein darauf.


Mikis Theodorakis
ÖDIPUS DER TYRANN
Ode für Streichorchester

Das thematische Material dieses Werkes entstammt zwei früher geschriebenen Kompositionen: dem 3. Satz (Elegie) der Sinfonie in drei Teilen (1947) und dem Sextett (1947). 1956, in Paris, als ich die Möglichkeit und Zeit hatte, die Werke meiner ersten Schaffensperiode durchzusehen (1945-55), Werke, die ich unter besonderen Bedingungen schuf – Illegalität, Verbannung, Gefängnis –, sah ich mich veranlaßt, viele davon zu überarbeiten, neu zu ordnen und zu orchestrieren. Bei der Überarbeitung der Partitur des Fest von Asi-Gonia (1945) entstand z.B. schon nach der dritten Seite ein völlig neues Werk, die 1. Suite für Klavier und Orchester, das wiederum viel später einging ins Material des Balletts Antigone, um dann 1982 zur 2. Sinfonie zu werden.
Diese ständige Verknüpfung des einen Werks mit einem andern, diese ständigen Metamorphosen desselben thematischen Materials verdeutlichen, wie ich meinen schöpferischen Beitrag auf dem Gebiet der sinfonischen Musikkomposition sehe: Ich glaube nicht, daß ich autonome Lieder oder sinfonische Werke schreibe, ich glaube an die Einheit meines gesamten Werks. Es ist eine einzige Komposition, ähnlich einer riesigen Klangtapetenwand, wobei die verschiedenen Werke unterschiedlichen Details, Schmuckelementen gleichen, und es liegt in meiner Hand, sie auszutauschen, jeden Augenblick ihre Anordnung zu verändern, wegzunehmen, das eine neben das andere zu stellen, sie neu zu gruppieren, vor Augen immer das endgültige Bild habend, das außer mir kein anderer kennen kann.
Ödipus ist, bildlich gesprochen, das griechische Volk zur Zeit des Bürgerkrieges. "Taub die Ohren, das Denken, blind die Augen." Das ist der Vers, der die Jahrhunderte überdauerte, um uns an das Maß zu erinnern und besonders an die menschlichen Grenzen, an die Achtung vor den grundlegenden Gesetzen der Natur und des Lebens. Ohne es zu wissen, tötete Ödipus seinen Vater, schlief mit seiner Mutter und zeugte mit ihr Kinder. Im griechischen Volk tötete - ohne daß er es wollte - der Bruder den Bruder, verletzte also das Gesetz der Natur und des Lebens. Das Volk wurde zu einem modernen Ödipus, taub die Ohren, das Denken, blind die Augen. Im ersten Satz des Werks hält der Chor/das Volk Einzug. Es herrscht eine elegische, hieratische Stimmung. Der Rhythmus entspricht dem Schreiten von Menschen, die ihrem Schicksal ins Angesicht sehen. Sie sind also einer Situation ausgeliefert, über die sie keine Entscheidungsgewalt haben. Die Melodie der Celli, die langsam von den Violinen übernommen wird und sich immer mehr verdichtet, deutet darauf hin, dass diese Menschenmenge – deren Gesicht hinter der Maske des antiken Chores verborgen bleibt – sich trotz dieser Maske und des Chiton ihr sensibles menschliches Herz bewahrt. Bis zu dem Punkt, da alle ihre Masken abwerfen und sich als einfache Menschen erweisen. Sie werden sich dessen bewußt, daß sie unfrei sind und kämpfen darum, ihr Schicksal selbst bestimmen zu können. Das beinhaltet der zweite, mittlere Satz des Werkes.
Wir wissen nichts über den Ausgang dieses inneren Kampfes. Die Zeit, unerbittlich, zwingt den Chor/das Volk, Masken und Chiton wieder überzustreifen. In derselben hieratischen Atmosphäre der Ernsthaftigkeit, die den Chor umgab, als er hereinkam, verläßt er die Bühne wieder.

© Übersetzt von Asteris Kutulas

 

 

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