POETRY IN MOTION III
Theodorakis conducts his Concerto for Piano & Orchestra

Dieser Film gehört zu einer Reihe von Aufnahmen, die ich Mitte der neunziger Jahre gemacht und POETRY IN MOTION genannt habe. Ich hatte sie nicht wegen der Musik festgehalten, sondern weil ich es schon immer faszinierend fand, wie Mikis dirigierte. Wichtig waren mir hier die Bewegung der Hände und des Körpers. Darum auch die schwarz-weiss Konzentration allein darauf.


Mikis Theodorakis
KLAVIERKONZERT

Das Werk wurde 1957 in Paris im Auftrag der englischen Pianistin Eileen Joyce komponiert, die es aber nicht mehr zur Aufführung bringen konnte, weil sie, wenn ich mich recht entsinne, schwer erkrankt und kurz darauf gestorben war.
Ich hatte also ein Werk geschaffen und wußte nicht, was weiter damit passieren sollte. Zur damaligen Zeit war es üblich, als junger Komponist mindestens so schräg zu schreiben wie Webern ... Aber ich konnte die mir eigene Handschrift, die zudem meiner Mentalität und Erziehung entsprach, nicht verleugnen. Trotzdem hatte ich versucht, als ich das Klavierkonzert komponierte, so gut wie möglich mit der Mode der Zeit zu gehen, deren eines Zentrum die Klasse von Messiaen im Conservatoire de Paris war, wo ich studierte. Wie sehr bedauerte ich damals, daß ich 1942 zugunsten der Musik von der höheren Mathematik abgelassen hatte. Wie hätte ich ahnen können, daß man zwischen 1950 und 1960 vor allem mathematische und kaum oder gar keine musikalischen Kenntnisse benötigte, um als Komponist anerkannt zu werden? Wie man weiß, führte Messiaen die "Reihe" auch in die Rhythmik ein. Mit solch einem Beispiel der "Spiegelung" des Anfangsrhythmus beginnt das Werk.
Was das melodische und das andere Material anbelangt, so verbinde ich im ersten Satz des Klavierkonzerts, was ich damals oft tat, das melodische Hauptthema mit sekundären Motiven "tetrachordischer" Inspiration. In diesem Werk wende ich zum zweiten Mal,in der 2. Sinfonie tat ich es erstmals, mein eigenes "System" an, das sich auf autonome Tetrachorde stützt, die, sich gegenseitig ergänzend, die Zwölftonreihe bilden.
Im zweiten Satz erzeugt das Solo-Klavier horizontal und vertikal die ganze (harmonische) Reihe. Aber die elegische Melodie beginnt sich von der üblichen Uniformität der Zwölftonigkeit zu lösen. Darum kehre ich in dem Augenblick, da sie von den Streichern und dann vom ganzen Orchester aufgenommen wird, endgültig dieser Schule den Rücken. Auf solche Art "befreit", betrachte ich den dritten Satz als Huldigung an Dionysos, der mir verwandte Wurzeln hat. In mir vernahm ich die monotonen, drängenden Rhythmen, wie sie von den Volksinstrumentalisten auf den griechischen Dorffesten gespielt wurden. Zu ihnen gehörte ja auch mein Vorfahre Theodoromanolis, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebte und einer der Schöpfer der Volksmusik Westkretas war. Einen besonderen Platz nimmt der Sirtos Chaniotikos ein, dessen gleichsam „stählerner“ Rhythmus zwar unverändert bleibt, dessen Melodien sich aber ständig verändern. Mal sind sie geschmeidig, mal verspielt lyrisch. Ich wollte von Anfang bis Ende des Finales des Klavierkonzerts einen gleichmäßigen Rhythmus haben – gleich dem der Musik auf den kretischen Volksfesten, wo man ihn hört und danach tanzt, Tage hintereinander, ohne Unterlaß. Mit den parallelen Akkorden der 13. Stufe ist es, als würde man dieselbe Melodie in allen Gegenden Kretas hören: von den Stränden bis zum Weißen Gebirge ...
Im zweiten Satz beginnt plötzlich die Deformation der im „modalen“ Tropus verfassten rhythmischen Melodie. Sie verkommt zu einer Grimasse im "chromatischen" Tropus. Das offenbart mich. Also den modernen Menschen der industriellen Epoche, der gezeichnet ist von den verschiedensten Verwundungen unserer Zeit. Aber mit diesem von Verwundungen zeugenden melodisch-rhythmischen Material, das wie ein Ostinato wirkt, kehrt die melodische Welt des Anfangs, also die der Krise, zurück. Bis zu den atmosphärischen Höhepunkten dieses Werks, da das Klavier mit seinen melodischen Katarrakten das beschreibt (zumindest zu beschreiben versucht), was mich am meisten an meiner für mich so besonderen Heimat Kreta beeindruckte: das Licht!

© Übersetzt von Asteris Kutulas


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Bekannt ist die internationale Anerkennung von Theodorakis als Liedkomponist, weniger bekannt ist, daß es mit Theodorakis einem griechischen Komponisten gelungen ist, mit griechischen Werken in die Hochburgen der westlichen Welt (Opernhäuser, Konzertsäle) einzudringen und dort zu bestehen. Genannt seien hier nur die Auftragswerke für die Arena in Verona 1987 (Zorbas Ballett), für die Staatsoper in Bilbao 1988 (Oper Medea), für die Olympischen Spiele in Barcelona 1992 (Canto Olympico), für die Europäische Kulturhauptstadt Luxemburg 1995 (Oper Elektra) und für das Malmö Sinfonieorchester 1997 (Cello Concerto). Und schließlich sei darauf hingewiesen, daß Theodorakis z.B. in den neunziger Jahren folgende Orchester leitete, was ihm auch Anerkennung als Dirigenten seiner Werke einbrachte: Philharmonic Symphony Orchestra Buenos Aires, London Philharmonia Orchestra, Poznan National Opera Symphony Orchestra (Poland), Aalborg Symphony Orchestra (Denmark), St. Petersbourg State Chapela Symphony Orchestra, Melbourne Chamber Symphony Orchestra, Rias Sinfonieorchester Berlin, Bolshoi Opera Symphony Orchestra Moscow, Bruckner Symphony Orchestra Linz, Berliner Rundfunkchor, Sofia National Opera Symphony Orchestra, Malmö Symphony Orchestra, Bavarian Radio Choir and Orchestra Munich.

Asteris Kutulas, 1999

 

 

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