Erwiderungen & Reaktionen

I GERT UND DIE ZEIT

Hallo D.,
du hast mich kürzlich gefragt, was ich vom Zeit-Artikel über Gert halte. Das ist ja eigentlich Schnee von gestern, aber deine Neugier hat mich veranlasst, mir jetzt mal eine Stunde Zeit zu nehmen und dir diesen Brief zu schreiben. Ich möchte mich nicht zu den einzelnen Details äußern und auch nicht zu den spitzfindigen Schlussfolgerungen, die dem Leser des Artikels bezüglich Gert suggeriert werden. Das ist allein Gerts Sache, wobei ich gut verstehen kann, dass er keine Lust hat, darauf überhaupt zu reagieren oder sich damit zu beschäftigen. Das Lustige ist ja, dass im Artikel meiner Ansicht nach keine einzige Behauptung aufgestellt wird, Stil und Aussage folgen mehr rechtlich relevanter Absicherung. Mit fundierter Recherche oder souveränem Journalismus hat das wenig zu tun. Immerhin war es beeindruckend, dass die „Zeit“ dem Künstler Gert Hof eine ganze Seite widmete, das war an sich sehr positiv und zeigte uns, dass wir im „Olymp“ angekommen waren.

Ich möchte nur einen Punkt des Artikels kommentieren, zu dem ich aus eigener Erfahrung etwas sagen kann. Der eigentliche Grund jedoch, auf deine Mail zu antworten, liegt darin, dass du mich inspiriert hast, über die Frage, die der Zeit-Artikel zwar stellt aber nicht beanwortet, zu schreiben. Doch der Reihe nach.

Die Kernaussage des Artikels, die gewissermaßen in meinen Zuständigkeitsbereich als Manager von Gert Hof fällt, lautet zusammengefasst: Hof machte Karriere, weil er seine Biografie fälschte. Das suggerieren sowohl der Titel „Der Blender“ als auch und vor allem der Untertitel des Artikels: „Wie der Lichtkünstler Gert Hof mit einer aufgebauschten und teilweise gefälschten Biografie als Stasi-Opfer und Dissident Karriere machte“. Das ist nicht nur einfach falsch, es ist der größte Unsinn, den man sich vorstellen kann. Die Wahrheit ist – und ich weiß, worüber ich rede, weil ich ausnahmslos alle Verhandlungen führte –, dass KEINER unserer Kunden und Partner, die uns die Aufträge für unsere spektakulären Shows in China, Ungarn, Deutschland, Griechenland, USA, Oman etc. erteilten, Gerts Bografie kannte oder sich für sie interessierte. Ich glaube sogar, die war ihnen ziemlich egal. Es interessierte sie nur, was Gert als Regisseur konnte und welche Visionen er als Künstler hatte.

Dass sich die Autoren dieses Umstands durchaus bewußt waren, ergibt sich für mich daraus, dass ihr Artikel diesen Nachweis nicht führt, ja nichteinmal zu führen versucht – ihre absurde Anfangsthese verliert sich in den Untiefen eines Hören-Sagen-Sammelsuriums von sehr zweifelhaften bis gar nicht relevanten „Zeitzeugen“. Der Grund für dieses großspurige – und nicht eingelöste – Enthüllungsversprechen liegt möglicherweise darin, dass sie es sonst (als freie Autoren) mit ihrem Pamphlet nicht in die „Zeit“ und schon gar nicht mit einer ganzen Seite geschafft hätten.

Da die Anfangsthese des Artikels (quasi seine Daseinberechtigung) – Gert Hof würde mit einer gefälschten Biografie seine Kunden „blenden“, damit sie ihm Jobs geben –, nicht stimmt, muss es einen anderen Grund für den Erfolg des Künstlers gegeben haben. Dieser bestand im Jahre 1999 in einem glücklichen Umstand:

Auf der einen Seite hatte Gert bereits seit Mitte der neunziger Jahre ein Konzept im Kopf, wie man die relativ engen Bühnen des Theaters und des Rock’n’Roll verlassen und den Himmel als Bühne erobern könnte. Ich glaube, er kam darauf, weil er verschiedene Erfahrungen bündeln konnte: seine zwanzigjährige Theaterarbeit, sein obsessives Verhältnis zur Musik und zum Film, sein fanatisches Interesse für Architektur (vor allem zur Bauhaus-Tradition), seine fast tägliche Beschäftigung mit Malerei und Literatur. Dazu kam das profunde Wissen um das Medium Licht, das er in all seinen Theater- und Rock’n’Roll-Produktionen seit Anfang der achtziger Jahre selbst bestimmte und einsetze. Er benutzte es aber nicht als „Lichtdesigner“, sondern als Regisseur, was einen gewaltigen Unterschied darstellt – aber das ist ein anderes Thema...

Auf der anderen Seite standen die Millenniumsfeierlichkeiten bevor, und verschiedene Regierungen und Institutionen suchten nach neuen innovativen Wegen, diese auszurichten. Bis 1999 gab es nämlich nur EINE Möglichkeit, hunderttausende von Menschen zu entertainen: mit Feuerwerk. Und die meisten Feuerwerke überall auf der Welt glichen sich, wurden langweilig und konnten keinen wirklich mehr begeistern. So waren am Horizont die Umrisse eines „neuen Marktes“ erkennbar, den aber noch keiner realisieren konnte, aber er passte als noch unschlüssige Form zu Gerts Konzept einer neuen Art von Outdoor-Events, eines Gesamtkunstwerks am Himmel, mit einer ausgefeilten Lichtarchitektur als Mittelpunkt.

Ich brachte die beiden Seiten zusammen: den Berliner Künstler und die diversen Regierungen, die in seinem Konzept fanden, was sie – ohne es vorher zu wissen – suchten. Zugleich mussten wir Verbündete gewinnen, die bereit waren, in Gerts Vision zu investieren. Denn bis 1999 gab es in Europa nicht einmal die Hardware (also große Scheinwerfer), um ein solches Konzept umzusetzen. Es war Pionierarbeit. Gert begründete schließlich nicht nur eine neue Form des Events, er revolutionierte auch nebenbei auf der Akropolis und in Ferropolis die Ästhetik der Pyro- und Feuerwerkskunst.

Die beiden Millennium-Events (an der Berliner Siegessäule und auf der Athener Akropolis) waren der Anfang. Es folgten die Feierlichkeiten zu 1.000 Jahre Ungarn sowie die EXPO-Veranstaltung in Ferropolis und der Millennium-Event in Peking. Nach einem Jahr hatten wir diese neue Form der Großveranstaltung etabliert, und Gert hatte seinen internationalen Durchbruch. Der Grund für diesen Erfolg mag auch darin begründet sein, dass es sich stets um komplexe Kunstwerke gehandelt hat, die mit einer eigens dafür komponierten Musik, einem dramaturgischen Aufbau folgend, und mit verschiedenen zum Teil divergierend eingesetzten Modulen (Licht, Pyro, Neon, Laser, Feuerwerk, Statisten etc.) Spannung erzeugen und bis zum Schluss aufrechterhalten konnten. Das war etwas ganz Neues. Interessant erschien mir außerdem für viele der ästhetische Anspruch der jeweiligen Inszenierung zu sein, die das Publikum zu unterhalten vermochte – und es trotzdem mit „Kunst“ versorgte, was bei mehreren Hunderttausend oder Millionen Menschen nicht einfach zu erreichen ist. Und schließlich befreite Gert durch seine Events das Medium Licht auch aus der „Speerschen nationalsozialistischen“ Umarmung, er machte es dadurch „hof“fähig für die moderne Kunst, fürs Entertainment. Inzwischen gibt es eine Art „Neue Schule des Lichtevents“ und viele Kopisten.

So in etwa fing alles an. In Wirklichkeit war der Weg natürlich sehr, sehr mühsam, kompliziert, mit zahlreichen Rückschlägen und mit unglaublich viel und harter Arbeit verbunden ... Nun ja, nach Aussage der „Zeit“ brauchte Gert den potentiellen Kunden nur ein wenig über seine Biografie der siebziger Jahre zu erzählen ... Das passiert, wenn man dem unbezwingbaren Drang nach einem falsch verstandenen Enthüllungsjournalismus nachgibt – man landet im Nirvana einer scheinheiligen Argumentationskette und einer verloren gegangenen Objektivität.

Aber das gehört alles dazu. Ansonsten würde es langweilig werden ... Sei gegrüßt

© Asteris Koutoulas, November 2007


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II MIKIS UND DER ANTISEMETISMUS

Lieber Guy,
es haben mich in den letzten zwei Wochen so viele beunruhigende und beunruhigte Briefe von Menschen aus Deutschland, den USA, Frankreich etc. erreicht, dass ich mich veranlasst sehe zu reagieren. Ich möchte dich bitten, meine Zeilen in deiner Homepage zu veröffentlichen. Wie du weißt, kenne ich Theodorakis seit 1979, habe etliche seiner Schriften übersetzt, ihn auf Hunderten von Konzerten begleitet und viele andere gemeinsame Projekte betreut. Viele wissen das, und etliche von ihnen äußerten ihr Befremden gegenüber dem gegen Theodorakis erhobenen Vorwurf, fragten mich nach den Hintergründen. Mir wurde ziemlich schnell klar, dass große Verwirrung besteht, und ich möchte nachfolgend ein paar Punkte benennen, die, wie ich hoffe, sicher klar machen werden, dass es lächerlich und absurd ist, Theodorakis als Antisemiten hinstellen zu wollen. Dazu muss ich ein wenig ausholen.

Die Griechen sind wie die Juden ein vergleichsweise kleines Volk, und die Hälfte ihrer Population befindet sich noch dazu in der Diaspora. „Bruderlos“ – so hat Mikis die beiden Nationen in der Pressekonferenz vor zwei Wochen genannt. Wie die Juden gehören auch die Griechen keiner Völkergemeinschaft an, anders also als die Slawen oder Araber. Selbst ihre Religion, obwohl christlich-orthodox, ist autokephal.

Aufgrund dieser Umstände bildeten die Griechen schließlich wie die Juden eine ganz eigene Mentalität heraus, weswegen sie oft in Widerspruch zu anderen gerieten. Das eine wie das andere Volk war in vielen historischen Augenblicken auf sich allein gestellt. Z.B. haben die Griechen zu Mussolini und Hitler nicht nur „Nein“ gesagt und die italienischen Truppen sechs Monate lang bekämpft und besiegt, bevor die Deutschen angriffen, sondern sie mussten aufgrund von massenhaften Protesten der Bevölkerung gegen die deutschen Okkupanten als einziges der besetzten Länder weder Zwangsarbeiter nach Deutschland noch Soldaten an die Ostfront schicken. Der Preis, den sie dafür zahlten, war hoch: etwa 500.000 Tote während der Besatzungszeit und eine zerstörte Heimat.

Während der deutschen Besatzungszeit (1941-1944) entwickelte sich in Griechenland eine starke Widerstandsbewegung. Bei einer Bevölkerungszahl von 7 Millionen waren fast 2 Millionen Menschen in der Nationalen Befreiungsfront organisiert, davon waren 150.000 bewaffnete Partisanen. Zu ihnen gehörte auch Theodorakis. Als im Oktober 1944 der letzte deutsche Soldat Griechenland verließ, hatte sich das Land praktisch selbst befreit. Die „verbundete“ englische Armee, die erst nach dem Abzug der Deutschen einmarschierte, kam, um die linksgerichteten Partisanen mit militärischen Mitteln anzugreifen, die Nationale Befreiungsfront zu zerschlagen und einen England-freundlichen König einzusetzen. Das löste den Bürgerkrieg aus, der von 1946 bis 1949 dauerte.

Die Engländer mussten schließlich aufgeben und riefen die Amerikaner zu Hilfe, die ihre Truman Doktrin in Griechenland umsetzten. Erstmals wurden Napalmbomben auf die ländlichen und bewaldeten Regionen vor allem Nordgriechenlands abgeworfen. Der Bürgerkrieg forderte 100.000 Opfer auf beiden Seiten, 15.000 Mitglieder der Befreiungsfront wurden hingerichtet, weitere 100.000 eingesperrt oder auf Verbannungsinseln deportiert (auch Theodorakis war über Jahre mehrmals in Verbannungslagern auf verschiedenen Inseln in Haft, darunter auch im berüchtigten Todeslager auf Makronisos). 75.000 Partisanen mussten 1949 ihre Heimat verlassen und ins Exil gehen.

Nach dem Bürgerkrieg übernahm das Regime des Königshauses, der Armeeführung, des Polizeistaats und der Amerikaner die Herrschaft. Alle Schlüsselpositionen des Staatsapparates wurden mit hörigen Vasallen besetzt. Alle Häftlinge, die im Verlauf der fünfziger Jahre endlich aus Lagern und Gefängnissen entlassen wurden, sahen sich plötzlich zu „Bürgern Zweiter Klasse“ gemacht.

Doch die Demokratiebewegung war dann Anfang der sechziger Jahre nicht mehr niederzuhalten. Nach der Ermordung des Abgeordneten Grigoris Lambrakis (Z) durch ultrarechte Kräfte im Jahr 1963 bildete sich die Lambrakis-Jugendbewegung. Theodorakis wurde ihr Vorsitzender. 1965 missbrauchte der König die Vollmachten, die er besaß, gegen die gewählte Regierung und setzte ein ihm genehmes Regime ein.

Kurz vor den Wahlen im April 1967 putschte das Militär – mit Billigung der amerikanischen Regierung –, was eine siebenjährige Obristendiktatur (1967-1974) zur Folge hatte. Mehr als 20.000 Menschen wurden verbannt und eingesperrt. Verurteilungen durch Militärgerichte, Verhöre, Folter und Verfolgung waren an der Tagesordnung. Die Folterknechte in der Sicherheitszentrale Athens, in der man auch Theodorakis gefangen hielt, waren in amerikanischen Spezialschulen ausgebildet worden.

Aber dieser Alptraum – „Geschenk“ der USA-Doktrin – war noch nicht alles. 1974 gab die USA-Regierung dann – wie Henry Kissinger selbst schreibt – grünes Licht für eine Invasion der Türkei auf Zypern und für die Besetzung von 40 % der Insel. Es gab Hunderte von Toten und Vermissten, Zehntausende von griechisch-zypriotischen Entwurzelten und Flüchtlingen. Die daraus erwachsenen Konflikte bestehen bis heute.

Diese bitteren historischen Erfahrungen führten in Griechenland zu einem wohl nachvollziehbaren Antiamerikanismus und erklären u.a., warum dieses Land geschlossen gegen den Irak-Krieg und so vehement gegen die Bombardierung Jugoslawiens war. Die Bevölkerung Griechenlands verhielt sich nicht nur aus Solidarität mit den zivilen Opfern so, sondern auch, weil die meisten Griechen gegen Gewalt und Willkür, aus welchen Gründen auch immer, sind. Die Bombardements in Jugoslawien und im Irak fanden ohne UNO-Resolution statt, was für die meisten Griechen in der Konsequenz bedeutete, dass sie, hätten sie dem zugestimmt, das Gesetz des Stärkeren, also „des Dschungels“ gebilligt hätten.
Hinzu kommt, dass viele Griechen der Behauptung misstrauisch gegenüberstehen, dass die USA den bösen Milosewich und den bösen Saddam bestrafen wollen. Dutzende Tyrannen hatten die USA in der Vergangenheit in verschiedenen Ländern ja selbst eingesetzt und unterstützt, einige bis heute. Man erinnere sich nur an die Fälle in Lateinamerika, z.B. Pinochet in Chile. Ganz zu schweigen von der arabischen Welt, wo Saddam und Bin Laden einst zu den Proteges der USA gehörten.
Vielleicht haben viele Menschen in Griechenland auch darum eine solche Sicht auf die Dinge, da in den Zeiten, da sie die Betroffenen waren, niemand kam, um sie von irgendeinem ihrer Diktatoren zu befreien (die übrigens die heutigen „Sachwalter“ der Menschenrechte und der Freiheit zwischen 1967 und 1974 selbst in Griechenland eingesetzt hatten). Die Haltung der Griechen hatte im Falle Jugoslawien und Irak zur Folge, dass Griechenland gewissermaßen in die Isolation gedrängt wurde.

Für Theodorakis ergab sich daraus die Frage, „was uns von anderen unterscheidet“ und „auf wen sich Griechenland eigentlich stützen kann, wenn sein Umfeld ihm gegenüber negativ eingestellt ist“. Bei der Beantwortung dieser Frage benannte Theodorakis während seiner Pressekonferenz vorletzte Woche einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Situation der beiden so genannten kleinen Völker, dem der Griechen und dem der Juden. Er bewundert den Zusammenhalt der Juden sowie ihre Hingabe an ihre Religion und Tradition, was sie über die Jahrhunderte hinweg am Leben und ihre Kultur unbeschadet hielt, obwohl dieses Volk bis vor kurzem nicht einmal einen eigenen Staat hatte.
Theodorakis sieht aber – den Satz von George Bush vom „Reich des Bösen“ paraphrasierend – die „Wurzel des Bösen“ in der imperialistischen Politik der USA, und er kommt zu dem Schluss, dass die jüdische Nation, die den Griechen ein Vorbild im positiven Sinne sein könnte, zur „Wurzel des Bösen“ hin, also in die erstickende Umarmung eben dieser imperialistischen Politik der USA hinein getrieben wird.
Es kann sein, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Interessen Israels am besten im Rahmen des Bündnisses mit den USA vertreten werden. Welche Interessen aber? Unter welchen Gesichtspunkten? Für Theodorakis sieht es so aus, als zähle vor allem der Blickwinkel Sharons und anderer ultrarechter Kräfte, die mehr an eine Politik der Gewalt und des Krieges glauben, so dass nicht nur die Politik Israels und in der Folge Israel insgesamt, sondern in gewisser Hinsicht unweigerlich auch die jüdische Nation zur Geisel einer aggressiven USA-Politik wird, wenn sie sich nicht dagegen wehrt.

Das ist Sinn und Kern der Aussage von Mikis, die in der Presse verstümmelt und fälschlicherweise als Antisemitismus dargestellt wurde.

Lächerlich, jemandem solch eine Haltung unterjubeln zu wollen, der als junger Mann z.B. gegen die Nazis kämpfte und als Mitglied der Widerstandsbewegung mithalf, über 8.000 Juden vor der Verfolgung zu bewahren. Während der Besatzungszeit nahm Theodorakis, wie viele griechische Partisanen, griechische Familien, die Juden versteckten, unter seinen Schutz. Theodorakis hat sich immer wieder mit dem Martyrium der Juden auseinander gesetzt und seiner Verzweiflung darüber in seinem „Mauthausen-Zyklus“ musikalisch Ausdruck verliehen, den die Überlebenden von Mauthausen selbst auswählten, um 1995 den fünfzigsten Jahrestag der Befreiung des KZs zu begehen und an die Tragödie zu erinnern. Ich war dabei, als Mikis auf dem ehemaligen Appellplatz die Kantate, die in drei Sprachen (Hebräisch, Griechisch und Deutsch) gesungen wurde, dirigierte und Simon Wiesenthal die Ansprache hielt.

1972 reiste Theodorakis als einziger namhafter Künstler nach Israel, um offen seine gegenteilige Meinung zum ägyptischen Präsidenten Nasser zu bekunden, der die Juden „ins Meer schmeißen“ wollte. Mit seinem damaligen Israel-Besuch hatte Theodorakis zugleich das „Embargo“ gebrochen, dass die „fortschrittlichen“ Kräfte Europas über Israel verhängt hatten. Theodorakis brachte das große Sympathie in Israel und hasserfüllte Reaktionen europäischer Linker ein, die ihn in vielen Zeitungsartikeln als „Helfer der Zionisten“ beschimpften.

Mir fiel bei den Tourneen in den letzten zwanzig Jahren auf, dass immer, wenn Theodorakis in Israel war, er die Rechte der Palästinenser verteidigte und dafür eintrat, dass beide Völker friedlich mit- und nebeneinander leben sollten. War Theodorakis in Syrien, Libanon oder Tunesien, setzte er sich vehement für die Rechte und die Existenz Israels ein. Ich weiß, dass er sich nie gescheut hat, seine Meinung öffentlich zu äußern, ohne Angst vor persönlichen Konsequenzen.

Nach der „Mauthausen“-Kantate 1964 und seiner Oper „Die Metamorphosen des Dionysos“ von 1985, in der er eine ganze Szene dem Leid des jüdischen Volkes während des Zweiten Weltkriegs widmete, komponierte Theodorakis 1981 die „Hymne der Palästinenser“, was er bei seinem letzten Konzert in Israel so kommentierte: „Ich liebe beide Völker, das der Juden und das der Araber, und es ist mein Traum, sie friedlich miteinander leben zu sehen ...“

Bereits 1972 hat Theodorakis in Libanon Terroranschläge der PLO scharf verurteilt, und zwar vor der versammelten PLO-Führung. Für ihn waren und sind blindwütige Angriffe inakzeptabel, denen auch Zivilisten zum Opfer fallen. Auf der anderen Seite sieht Theodorakis die Angriffe der israelischen Armee mit einkalkulierten zivilen Opfern. Auch darum kann er die Hinwendung Israels zur „Wurzel des Bösen“, also des Krieges, nicht stillschweigend hinnehmen. „Denn alle Kriege sind unmenschlich und schmutzig.“

Zum Schluss möchte ich noch einen sehr persönlichen Eindruck festhalten, der mit der Persönlichkeit von Theodorakis zu tun hat. Ich werde nie vergessen, wie er zusammen mit seinem türkischen Freund Zülfü Livanelli Mitte der achtziger Jahre die Griechisch-Türkische Freundschaftsgesellschaft gegründet und die griechische Regierung aufgefordert hat, sich mit dem „Erzfeind“ Türkei auszusöhnen und mittelfristig eine Konförderation nach skandinavischem Muster zu gründen. Es gab, glaube ich, keine griechische Partei und keine griechische Zeitung, die ihn nicht des „Landesverrats“ bezichtigt hätte (inzwischen sind die Aussöhnung und Kooperation mit der Türkei Teil der offiziellen Politik Griechenlands). Ich will damit sagen, dass Theodorakis ein Mann der klaren Worte ist und dass er zu einer antisemitischen Haltung, wenn er sie hätte (ich betone: wenn), kompromisslos stehen würde. Tatsächlich ist dies aber eben nicht seine Haltung. Er hat das in einer Erklärung einen Tag nach den Anschuldigungen klargestellt. Leider „interessiert“ das die Presse aber nicht mehr, oder zumindest lässt sie ein mögliches Interesse daran nicht erkennen, denn wahrscheinlich lässt sich aus dieser Tatsache derzeit in unserer Informations-Gesellschaft keine Story und keine Schlagzeile mehr machen.

Lieber Guy, ich bitte dich dafür um Verständnis, dass ich etwas ausgeholt habe. Aber es war notwendig ...

Mit besten Grüßen
© Asteris Kutulas, 29.11.2003


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III DAS HERRMANN/MITSIDIS-SYNDROM DER TIP-REDAKTION

An die TIP-Musikredaktion

bezüglich des Artikels „Das trojanische Konzert“ von Christoph Herrmann in der TIP Nr. 3/99

Sehr geehrte Musikredaktion,
gerade las ich mit großem Interesse den Artikel über „Das trojanische Konzert“, der mich, das möchte ich zugeben, zum Teil sehr amüsierte. In diesem Artikel geht es um sechs Konzerte, die von der Chronika Buchhandlung veranstaltet und von mir künstlerisch und organisatorisch betreut werden und die alle 1999 stattfinden sollen. Worin besteht das Problem? Hat die Chronika Buchhandlung jemals ein Konzert angekündigt, das aus „klammheimlichen“ oder anderen Gründen abgesagt wurde? Haben die Chronika Buchhandlung oder ich jemals einen Künstler dahingehend getäuscht? Natürlich nicht. Herr Herrmann war sich, während er diesen Artikel schrieb, jeden Augenblick darüber im klaren, daß alle von ihm benannten Künstler nach Berlin kommen würden. Hinsichtlich dessen gab es für ihn gar keinen Zweifel. Warum also dieser ganze Aufriß, warum diese bewußte Desinformation? Gibt es überhaupt ein Problem?

Wenn es ein Problem gibt, dann besteht es vielleicht einfach darin, daß Herr Herrmann genau das macht, was er mir vorwirft: Vielleicht instrumentalisiert er einfach nur den TIP, um den einen Veranstalter – die Chronika Buchhandlung – kaputtzumachen, damit er einem anderen Veranstalter griechischer Musik in Berlin – Takis Mitsidis –, mit dem er sehr eng befreundet ist, dazu verhilft, das Monopol über die griechische Musikszene zu erlangen. Es geht also um den „griechischen Musikmarkt“. Nur so lassen sich die kleinlichen Haßtiraden des Herrn Herrmann erklären, der damit – offenbar unterstützt durch die TIP-Musikredaktion – die wirtschaftlichen Interessen seines Busenfreundes Takis Mitsidis publizistisch verteidigt. Und es ist nur allzu verständlich, daß genau dieser griechische "Veranstalter" Herrn Herrmann bei den „Recherchen“ zu seinem Artikel angestiftet und geholfen hat und ihm mit Rat und Tat zur Seite stand.

Aber der Reihe nach: Tatsächlich gab es einen Termin für ein Dalaras- Konzert, der aber im Einvernehmen mit dem Künstler drei Monate vor dem geplanten Veranstaltungstag verschoben wurde. Ich bin lange genug im Geschäft und Sie als Musikredakteure ja auch, um zu wissen, daß in diesem Vorgang nichts Unübliches liegt, zumal noch keine einzige Eintrittskarte verkauft und nicht die kleinste Werbung gemacht worden war. Konzert-, sogar ganze Tourneeverschiebungen sind an der Tagesordnung. Was bewog also Herrn Herrmann, aus Herrn Laser und Herrn Ioannou von der Chronika Buchhandlung gleich „schwarze Schafe im Veranstalterbereich“ zu machen, vor denen öffentlich gewarnt werden muß? Zumindest hätte er – um wenigstens journalistisch korrekt zu sein – die Veranstalter oder Anna Dalaras oder das Dalaras-Management nach den Gründen für die Verschiebung fragen können. Warum hat Herr Herrmann das Einfachste von der Welt unterlassen? Weil er dann seinen Artikel nicht hätte schreiben können. Ich lege ein Fax des Agenten von Herrn Dalaras in dieser Sache bei, aus dem hervorgeht, daß das Konzert tatsächlich gebucht und anschließend im gegenseitigen Einvernehmen verschoben wurde. Somit entpuppt sich bereits der Ansatz Ihres Artikels als eine riesige Seifenblase.

Herr Herrmann nennt in diesem Zusammenhang auch andere Namen. Die Sängerin Elli Paspala, die angeblich keine Vereinbarungen bezüglich des Konzertes getroffen hat, ist eine langjährige Freundin von mir, mit der ich seit Ende der achtziger Jahre auch bei diversen Produktionen zusammengearbeitet habe. Ich kann Ihnen versichern, daß Elli überhaupt keinen Manager, sondern in dieser Sache einen Vertreter – nämlich Herrn Tim Dowdall –, beauftragt hat. Sie war sehr entrüstet, als ich ihr erzählte, daß dem TIP von „ihrem Management“ eine schriftliche Erklärung vorläge. Sie hat Herrn Dowdall beauftragt, dies zu dementieren, was er im beiliegenden Fax auch tut.

Mit Dimitra Galani habe ich Konzerte gemacht, da kannte Herr Herrmann nichtmal ihren Namen. Ich weiß nicht, mit welchen Agenten die Künstlerin in Griechenland kooperiert, ich treffe jedenfalls alle meine Verabredungen direkt mit ihr. Sie weiß von diesem Konzert seit dem vergangenen September, als ich mit ihr den Termin vereinbart hatte.

Das wird Ihnen selbst Herr Spiros Papanastasiou aus Athen bestätigen, jener Agent, von dem Herr Herrmann das dem TIP vorliegende „beweiskräftige“ Fax erhalten hat. Dessen Inhalt wurde mir durch Herrn Papanastasiou mitgeteilt. Darin steht, daß es zwischen Herrn Papanastasiou bzw. seinem Büro und der Chronika Buchhandlung keine vertragliche Vereinbarungen gibt. Die kann und wird es auch nicht geben, weil es Vereinbarungen nur zwischen mir als dem Produzenten und den Künstlern direkt gegeben hat. Auch das hätte ihr rasender Reporter einfach bei der Chronika Buchhandlung erfragen können. So aber fallen seine „professionellen Recherchen“ in die abgrundtiefe Leere.

Herr Spiros Papanastasiou wird Ihnen auch schriftlich mitteilen, daß er in dieser Angelegenheit Elli Paspala nicht vertritt. Die Benutzung der Aussage des dem TIP vorliegenden Faxes bedeutet also einen riesengroßen Bluff und somit auch eine Täuschung des Leserpublikums.

Was hat Herr Herrmann noch zu bieten? Richtig, die „schwarze Zukunft“, die der griechischen Musikszene u.a. durch meine Machenschaften droht. Ich habe mit dem zitierten Herrn Kostas Papanastassiou (von Terzo Mondo in Berlin) gesprochen, der Ihnen selbst diesbezüglich schreiben wird. Ich möchte an dieser Stelle nur anmerken, daß der springende Punkt in diesem „Zitat“ (eine wahrlich journalistische Meisterleistung) in der Wendung „Diese Vorkommnisse“ liegt, die eine allgemeine Aussage, die wir alle unterschreiben würden, für die eigenen Zwecke instrumentalisiert.

Da nicht sein kann, was nicht sein darf – nämlich daß die Chronika Buchhandlung auch mal ein gutes und erfolgreiches Konzert veranstaltet –, schwingt sich Herr Herrmann zu einem der Höhepunkte seiner Manipulationskunst auf: Er will beim Leser den Eindruck erwecken, daß sich die Chronika Buchhandlung in der Berliner Zeitung einen „schmeichlerischen Erguß“ über das Farantouri-Kirchmann-Konzert organisiert habe, um ihn in der eigenen Zeitschrift nochmal abdrucken zu können. Abgesehen davon, daß diese Behauptung eine Ungeheuerlichkeit gegenüber der Berliner Zeitung und dem konkreten Journalisten – den ich persönlich nicht kenne – darstellt, möchte ich Sie bitten, den Artikel in der Berliner Zeitung, den ich beilege, zu lesen, um über den Gemütszustand Ihres journalistisch amoklaufenden Mitarbeiters Aufschluß zu erhalten. Einen solch sachlichen Artikel kann nur jemand als „schmeichlerischen Erguß“ apostrophieren, der jede objektive Distanz verloren hat …

Aber der Herrmannsche Vernichtungsfeldzug kennt keine Grenzen: Ganz nebenbei soll das soeben genannte Farantouri-Kirchmann-Konzert, „das selbst die treuesten Farantouri Fans irritiert zurückließ“ diskreditiert werden. Immerhin muß diesem bemitleidenswerten Konzert sogar „publizistisch abgeholfen werden“. Herr Herrmann, der selbst beim Konzert nicht anwesend war, kann sich bald in ARTE oder im Griechischen Fernsehen ERT das „schreckliche“ Konzert ansehen (beide Sender werden unsere Aufzeichnung ausstrahlen) oder sich später die CD oder das Musikvideo des Live-Mitschnitts kaufen, die bei einem großen Plattenlabel veröffentlicht werden.

Aber es kommt noch dicker: Herr Herrmann behauptet wider besseres Wissen, daß „aufgrund dessen“ – seinem Text folgend: aufgrund dieser Publikation in der Berliner Zeitung und der Chronika – es in der griechischen Presse die „irreführende Andeutung“ gegeben habe, es „seien mehr als 700 Besucher gekommen“. Zum Glück, daß Feuerwehrmann Herrmann dahereilt, dies im Dienste der Allgemeinheit schnellstens zu berichtigen. Nur daß er ein wichtiges Detail verschweigt: Nicht „aufgrund dessen“ stand diese Zahl in der griechischen Presse, sondern weil die Chefredakteurin der größten griechischen Musikzeitschrift DIFONO, Frau Anna Vlavianou, im Berliner Konzert gesessen und darüber einen Artikel geschrieben hat, den ich ebenfalls beilege. Herr Herrmann, der diese Zahl aus diesem Artikel kennt, wußte und verschwieg es wohlweislich. Wie sovieles andere mehr.

So besteht das Herrmannsche Pamphlet aus viel heißer Luft, und es scheut auch nicht die Peinlichkeit, meine „Gattin“ – wie Herr Herrmann sie liebevoll apostrophiert – im feinsten Super-Illu-Jargon mit ins Spiel zu bringen. Denn Herr Herrmann hat es offenbar auf mein ganzes Leben abgesehen: Es schlägt ihm sichtlich auf den Magen, daß ich zum Musikredakteur bei der Chronika-Zeitschrift „aufgestiegen“ bin, noch mehr jedoch, daß ich als „persönlicher Manager“ (Anführungsstriche diesmal von ihm) von Maria Farantouri „firmiere“ und – wie furchtbar! – ein Interview mit ihr geführt habe. Das muß wirklich bestraft und – Herrmann sei Dank – dem Berliner Publikum schnellstens mitgeteilt werden! Aber, Sie wissen ja, Papa Mikis braucht nur einmal mit dem Finger zu schnipsen, und Tante Maria nur mit den Augen zu zwinkern, und gleich gehts ab ins Studio, und zu dritt singen wir „Asteri mou, fengari mou“!

Für mich ist es jedenfalls interessant zu beobachten, welche Befreiungsversuche jemand anstrengt, um sich aus der Sackgasse, in die er sich einmal blindwütig verrannt hat, wieder herauszuwursteln. Dümmeres als dem Fuchs, der an die süßen Trauben nicht ranreichen kann, und der schließlich sagt: Die will ich ja gar nicht, weil sie sowieso zu sauer sind!, Dümmeres konnte Meister Herrmann und seinem Freund Takis Mitsidis nicht einfallen – aber ich frohlocke nicht. Wennschon nicht die Trauben, dann ist immerhin doch auch die Intrige eine Frucht voll süßen Saftes. Und so bin ich nach der aufschlußreichen Lektüre seines Artikels auf weitere Überraschungen des Mister Schreckschuß – ob nun rückengedeckt durch die TIP-Redaktion oder nicht – zumindest gefaßt, ganz gleich, aus welchem Furzloch sie dann wieder donnern werden.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, daß das Einzige, was mich am Artikel wirklich gestört hat, weil es an den Haaren herbeigezogen ist und der Sache überhaupt nicht gerecht wird, jener Seitenhieb auf meinen Text in der Chronika-Zeitschrift über mein Theodorakis-Werkverzeichnis ist. Das „anonym“ verfaßte Interview ist nicht anonym, sondern ein kurzer Text von mir, dem die Chronika-Redaktion völlig legitim die Form eines Interviews gegeben hat. Über das diffamierende „abfeiern“ können Sie sich selbst ein Urteil erlauben: Ich lege meinen Text als Kopie bei. Ihr Autor konnte sich darüber nur „wundern“, was immer das bedeuten mag, jedenfalls war ihm dieses „Wundern“ so wichtig, das er es in seinem Artikel herausstreichen mußte. Wenn Sie mir erklären können, was es daran Verwunderliches gibt, so teilen Sie es mir bitte mit. Was ihr Autor geschrieben hat, ist ganz einfach bullshit.

Das Ärgerliche daran ist, daß mich dieses Buch sieben Jahre harter Arbeit gekostet hat und von der Presse in Griechenland als Meilenstein der griechischen Musikliteratur angesehen wird. Der griechische Kulturminister hielt die Hauptrede bei der Vorstellung meines Buches in Athen, und Spiros Evangelatos, der bedeutendste Theaterregisseur Griechenlands, machte mir die Ehre, sich zu einigen Aspekten meines Buches anschließend zu äußern. Das ist tatsächlich „Abfeiern“, nicht aber mein sachlicher Text über das Buch, von dem zur Zeit eine deutsche und eine englische Übersetzung in Vorbereitung sind. Und nun kommt ein schwadronierender Herrmann und versucht, mir ans Bein zu pinkeln.


Da ich selbst fast fünfzehn Jahre lang auch journalistisch gearbeitet, über dreißig Bücher in Deutschland herausgegeben habe, sowie mehrere Jahre an Zeitschriftenprojekten beteiligt und fast zwei Jahre lang auch Chefredakteur einer literarischen Zeitschrift war, verstehe ich jede Redaktion, die sich hinter ihre Mitarbeiter stellt. Ich möchte Sie trotzdem bitten, den Herrmannschen Artikel zu LESEN …

Nach meiner Ansicht handelt es sich dabei um einen diffamierenden, sehr tendenziös und vorsätzlich böswillig geschriebenen Beitrag, der noch dazu - was das Schlimmste ist - in einem schlechten Deutsch geschrieben wurde und viele stilistische Schwächen offenbart ...

Mit freundlichen Grüßen
© Asteris Kutulas, 24.1.1999


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IV MARION GRÄFIN DÖNHOFF & KÖNIGIN FRIEDERIKE VON GRIECHENLAND

An Frau Dr. Marion Gräfin Dönhoff
Redaktion DIE ZEIT
bezüglich des Artikels aus der ZEIT Nr. 38, 12.9.1991: „Vor vierzig Jahren: Aus der ZEIT vom 13. September 1951“

Sehr geehrte Frau Gräfin Dönhoff,
ich las gestern Ihren Beitrag „Friederike, Friederike“ in der ZEIT vom 12. September 1991, in dem sich Königin Friederike von Griechenland brüsten darf, humanistische Umerziehungslager für Kommunisten Ende der vierziger Jahre geschaffen zu haben. Gestatten Sie mir bitte – da die Aussagen der Königin nicht nur kommentarlos bleiben, sondern durch den Eindruck Ihres ganzen Beitrags erhärtet werden –, Sie darauf hinzuweisen, daß auf den Verbannungsinseln während des Bürgerkriegs (1946-1949) bis zu 150.000 Linke bzw. Sympathisanten bzw. ehemalige Mitglieder der antifaschistischen Widerstandsbewegung EAM deportiert waren. Inzwischen gibt es genug Zeugnisse (auch auf Deutsch), wie es in diesen Lagern zuging.
Die Behauptung der Königin, es handelte sich um junge Kommunisten, die gezwungen worden seien, ihr bisheriges Leben mit Rauben und Morden zuzubringen, die nicht lachten und noch nie in ihrem Leben gesungen hatten – ist wahrlich ein Hohn gegenüber fast der gesamten linken Intelligenz Griechenlands, die auf den Verbannungsinseln deportiert worden war. Einer ihrer wichtigsten Vertreter, Jannis Ritsos, wurde in diesen „Umerziehungslagern“ fünf Jahre (1948-1952) festgehalten und hat diese Schreckenszeit in seinem Band „Tagebuch des Exils“ (Deutsch: Schwiftingen Verlag, 1979) dargelegt.

Ein anderer jahrelang auf Ikaria und Makronisos (der „Hölle“) Festgehaltener, der Komponist Mikis Theodorakis, hat in seiner Biografie ausführlich das Lagerleben beschrieben. Darin kommt er auch an einigen Stellen auf Königin Friederike zu sprechen. Ich habe mir gestattet, Ihnen zwei entsprechende Auszüge aus dem 3. Band seiner Autobiographie DIE WEGE DES ERZENGELS (1987), die im Dezember dieses Jahres beim Luxemburger Verlag editions phi erscheinen wird, zu notieren:

„... Alle Griechen waren nach dem Bürgerkrieg gebeugt. Nur der Thron, die Fremden, die Oligarchie und die ihnen dienenden politischen und militärischen Kreise sowie die Polizei: sie triumphierten. Für wen wohl hatte Odysseas Elytis geschrieben: „Und sie werden mit Blüten schmücken den Sieger, der leben wird im Gestank der Leichen“? Für Papagos? Oder für Königin Friederike?...
... Die sogenannte Abfärbe-Technik wurde eingeführt. Sie bestand in individuellen und Massenfolterungen, Zwangsarbeit, Durststrafen, moralischen und psychischen Erpressungen. Wenn jemand „zerbrach“, mußte er, um die „Echtheit“ seiner Reue zu beweisen, seinerseits zum Folterer werden. So kam es zu einer erstaunlichen Situation, in der die meisten der „Prügler“, wie sie genannt wurden, ehemalige Häftlinge waren. Man erzählte sich, daß in der Ersten Abteilung nur zwei Offiziere Nationalisten waren. Alle anderen seien ehemalige Linke, hieß es. Das „Abfärben“ wurde systematisch betrieben: Verleugnung der Kommunistischen Partei; Bekehrungs-Briefe an die Bewohner der Heimatgemeinde: Briefe an Unbekannte, deren Adressen dem Telefonbuch entnommen wurden; Reden während der „Stunde zur nationalen Erziehung“ um 11 Uhr vormittags vor der ganzen Abteilung; Teilnahme an Pogromen gegen die hartnäckigen und uneinsichtigen Gefangenen; Teilnahme an Prügelaktionen und Folterungen. Für all diese Aktivitäten gab es ein Heft, in das der Verantwortliche die genaue Anzahl der Briefe, der Reden, Folterungen usw. eintrug. Der Kommandant der Abteilung gab persönlich die Einwilligung zum ersten Athen-Urlaub, die höchste „Anerkennung für einen Gefangenen“. Der Kommandant sah ihn von oben bis unten an, kontrollierte bedächtig dessen Heft und sagte: „Nur dreimal geprügelt, und du willst schon nach Athen? Mach fünfmal draus und komm wieder.“ Er mußte also noch zweimal prügeln, der beaufsichtigende Gendarm trug das kommentierend in sein Heft ein, und dann bekam der Gefangene den ersehnten Athen-Urlaub. Dieser „Abfärbe-Prozeß“ dauerte Monate.
... So breitet sich das Gefühl der absoluten Einsamkeit aus. Du bist allein, ausgeliefert der Gnade der entfesselten Elemente der Natur und des Menschen. Keiner kann dir helfen. Auf Makronisos starben Mythen und Götter. Es starb auch das Wesen, das du Mensch genannt hattest. Du warst zu einem Wurm und die anderen über dir zu Ungeheuern verkommen. Hinzu kommt das ganze Theater, das die Regierung auf Kosten der Gefangenen inszenierte. Und dieses Theater, das „Becken von Siloam“, wie es von den Offiziellen genannt wurde, hatte jeden Tag eine Fortsetzung mit den verschiedenen Verlautbarungen und Besuchen der Königin Friederike und verschiedener Minister bis hin zu ausländischen Journalisten und einheimischen „Persönlichkeiten“. Die Straßen und das Sanatorium wurden weiß getüncht, ins letztere legten sich Gendarmen und spielten die Kranken. Die Zelte mußten gesäubert werden, die Vorderansicht des Lagers wurde hergerichtet. Und hinter alledem Dreck und Hunger, Gefolterte, Verkrüppelte und Tote. Du hast keine Chance, daß dein Martyrium bekannt wird. Du bist isoliert, verurteilt, für immer verloren. Du bist allein, der Gnade deiner erbarmungslosen Folterer ausgeliefert. Da drehst du durch. Irgendeine Schraube in deinem Gehirn oder Nervensystem lockert sich, ein Riemen reißt, und dein Kopf oder deine Hand geraten dir aus der Kontrolle. Der Verrückte von Makronisos ist gewöhnlich ein willenloses Geschöpf mit einem Tick. Ein Geschöpf, das sich in Momenten der Erleuchtung seiner Lage bewußt wird, was anschließend den spastischen Mechanismus nur intensiver auslöst. Noch heute gibt es Menschen, die Tabletten nehmen, im nicht wieder vom Makronisos-Syndrom überwältigt zu werden ...“

Entschuldigen Sie die langen Zitate, die sich weiterführen ließen – aber sie stehen doch in solch einem frappierenden Widerspruch zu den Aussagen der Königin Friederike, daß ich nicht umhin konnte, sie Ihnen mitzuteilen.

Übrigens haben französische Intellektuelle um Aragon und Picasso bereits Ende der vierziger Jahre die Praktiken in den griechischen „Umerziehungslagern“ angeprangert und das königliche Ehepaar deswegen angegriffen, aber auch Bertold Brecht und Stephan Hermlin forderten – wenn ich mich nicht irre – die Auflösung dieser Lager in Griechenland.

Hochachtungsvoll
© Asteris Kutulas, 16.9.1991


Sehr geehrter Herr Kutulas,
ich habe erst Ihren Brief und dann jenen Artikel von vor vierzig Jahren gelesen und dabei ist mir dann wirklich ganz bange geworden.
Ich bin überzeugt, daß Ihre Darstellung und die Zitate zutreffend sind und mein Bericht über die königliche Darstellung sich als abwegig erweist. Aber damals konnte man noch nicht reisen und mußte das, was Leute einem erzählten, für bare Münze nehmen.
Da man einen Artikel von vor 40 Jahren heute nicht berichtigen kann, ist Ihr Brief als Leserbrief leider nicht geeignet, aber für mich persönlich ist er eine gute Lehre, und dafür danke ich Ihnen sehr.

Mit bestem Gruß
Dr. Marion Gräfin Dönhoff
24. Sept. 1991


Es ging um das folgende Zitat aus dem Artikel aus der ZEIT, Nr.38 vom 12. September 1991:

VOR VIERZIG JAHREN
Aus der ZEIT vom 13. September 1951

... „Sie müssen bedenken“, sagte die Königin, „daß die Kinder in Griechenland seit zehn Jahren überhaupt keinen Unterricht mehr gehabt haben. Fast alle Schulen waren zerstört, und die wenigen, die übriggeblieben sind, wurden für andere Zwecke gebraucht. Und Griechenland ist arm; es dauert sehr lange, das Land wieder aufzubauen. Mein Mann aber ist der Meinung, daß die Erziehung der Kinder und die Ausbildung der Jugend wichtiger ist als alles andere, und so ist es uns im vorigen Jahr gelungen, 360 Schulen neu herzustellen. Ah, das ist ein Anblick, wenn man jetzt durch das Land fährt und sieht diese neuen Gebäude in den Dörfern und kleinen Städten! Es sind keine Paläste, aber eigentlich sind es doch die schönsten Häuser überall.“ Und die junge Königin strahlte, so wie wohl nur die Augen ihrer preußischen Vorfahren aufleuchteten, wenn sie an ihre Garnisonen und Regimenter dachten. „Wie steht es mit der sogenannten Umschulung der Kommunisten?“ fragte ich, auf das Problem lenkend, von dem ich wußte, daß es ausschließlich auf Grund der Initiative des Königspaars in Angriff genommen war. „Wir haben damit schon vor der endgültigen Niederwerfung der Kommunisten begonnen“, antwortete die Königin. „Wenn Sie das einmal gesehen hätten, diese Gefangenenlager, in denen junge Kommunisten von 15 bis 19 Jahren hinter Stacheldraht eingepfercht waren. Kinder, die gezwungen worden sind, ihr bisheriges Leben mit Morden und Rauben zuzubringen, die nie lachten, keine Spiele mehr kannten, noch nie in ihrem Leben gesungen hatten und deren Ausdruck mehr dem böser Tiere als dem eines Menschen glich – wenn man das gesehen hat, dann sagte man sich, was ihnen fehlt, ist menschliche Nähe und Wärme.“
„Und da haben wir auf der Insel Leros“, so fuhr die Königin fort, „ganz einfach Siedlungen und Lehrstätten eingerichtet, wo Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr, die sich freiwillig in den Gefangenenlagern meldeten, in völliger Freiheit leben können.“ – „Das Schöne ist“, fiel König Paul ein, „daß die Bewohner der Insel alle mit Feuereifer und ohne jedes Entgelt mitwirken. Auch sie empfinden, daß man bei diesen Menschen nicht eine Doktrin mit einer neuen Doktrin austreiben kann...“
... – Fast könnte man diese Griechen beneiden um ihr Königspaar, das so schlicht und selbstverständlich zupackt und den Mut hat, es anders zu machen als bisher, das Wagnis eingeht, in einem neuen Geist wiederaufzubauen...“

Marion Gräfin Dönhoff

 

 

 

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