Zur CD „First Songs“ von Theodorakis

Die auf der CD FIRST SONGS zum Teil erstmals veröffentlichten Lieder gehören zu Mikis Theodorakis’ frühesten Kompositionen. Das 1937 entstandene Lied „Das Schiffchen“ ist davon das erste überlieferte. Allerdings folgten binnen weniger Jahre viele weitere: zwischen 1937, Theodorakis’ zwölftem, und 1945, seinem zwanzigsten Lebensjahr, etwa 120 Lieder, 20 Violinstücke, 30 Klavierwerke, 25 kirchliche Kantaten, 10 größere Chorstücke, eine Sinfonie, mehrere Kammermusiken und diverse Werke für Streichorchester. Das Erstaunliche daran ist, dass diese ausschließlich der so genannten „ernsten“ Musik zugehörigen Kompositionen in der griechischen Provinz entstanden, wo sinfonische Musik fast völlig unbekannt war.

Theodorakis lebte als Jugendlicher isoliert – möglicherweise ein entscheidender Grund für diese so außergewöhnliche Beschäftigung. Eine andere Ursache könnte seine damals ausgeprägt pessimistisch-existentialistische Weltanschauung gewesen sein, die genährt wurde von der Literatur aus der umfangreichen Bibliothek seines Vaters. Theodorakis verschlang damals die Werke Schopenhauers, Nietzsches, Platons, Knut Hamsuns; er las Goethes „Werther“ nicht nur, er verinnerlichte ihn. „Musik“ und „Liebe“ wurden so zu den beiden Lebens-Polen, die einer bewusst gelebten Einsamkeit entsprangen und sich in einem Lebensgefühl artikulierten, das man mit „Melancholie“ umschreiben und in den meisten der auf der CD „First Songs“ veröffentlichten Lieder finden kann.

Mir schien es eine „Notwendigkeit“ zu sein, den inzwischen fast achtzigjährigen Theodorakis diese Lieder selbst singen, interpretieren zu lassen, auf dass sich der Kreis seiner Passionen schließe und er seiner damals entäußerten „Melancholie“ wieder habhaft werde.

Mikis Theodorakis, First Songs, Produced by Asteris Kutulas, Intuition Music, 2005


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MIKIS THEODORAKIS - MEINE ERSTEN LIEDER
Aus einem Interview mit Asteris Kutulas


"Es sind nicht nur die Nachtigallen"
Das Lied habe ich 1938 in Pyrgos geschrieben. Ich habe dieses Gedicht von Kostis Palamas in einem Schulbuch gefunden. Es ist im Walzerrhytmus komponiert, einem Rhytmus, der in Pirgos sehr beliebt war. Ich sang dieses Lied ständig mit meiner Mutter; wir haben es bestimmt an die 1000 mal gesungen, zunächst in Pirgos, dann in Tripolis. Es war unser größter “Hit”. Wir sangen es vor allem zur Familienunterhaltung. Ich spielte dazu Gitarre, und meine Eltern tanzten danach. Oder es besuchten uns Freunde meiner Eltern, und sie tanzten alle nach diesem Lied. Es war das einzige meiner Lieder, nach dem getanzt werden konnte. Es war unser “Hit”. Natürlich ein häuslicher ... Es ist ein fröhliches Lied, und es war das einzige meiner Lieder, das auch mein Vater singen konnte. Er hatte übrigens kein gutes Gehör.


"Herbst"
Dieses Lied entstand 1942/43 in Tripolis, während meiner Jugend, der Zeit des Romantizismus und eines uns beherrschenden allgemeinen, existentiellen Pessimismus. Das hat mir damals geholfen, schnell reif zu werden. Ich glaube, ich habe damals einige sehr persönliche Lieder geschrieben, deren Melodien ich noch heute zu meinen reifsten zähle. Einige benutzte ich sogar in meinen letzen Opern. In einer seltsamen Art und Weise offenbarte sich in ihnen viele Jahre im Voraus meine kompositorische Substanz. Viele Anfang der vierziger Jahre entstandene Lieder haben tatsächlich eine pessimistisch-elegische Grundstimmung, und der Grund hierfür war nicht die deutsche Besatzung, sondern die Plagen der Jugend, wie die nichterwiderte Liebe und andere Probleme der Pubertät oder die philosophischen Einflüsse aus den viele Büchern, die wir lasen. Alles erschien uns unerfühlbar und dunkel … Obwohl ich heute denke, dass wir damals sehr glücklich waren, nur – wir wußten es nicht. Und Hadzopoulos gehörte neben Karyotakis zu den pessimistischsten Dichtern. Sie gehören zur Dichtergeneration der 20er Jahre, zu den sogenannten “verurteilten Dichtern”. Sie haben sehr großen Pessimismus verbreitetet und das, was die nachfolgenden Dichter wie Seferis und Elytis versuchten, war, diesen Einfluß abzuschütteln. Vor allem jenen von Karyotakis, aber auch den von Hadzopoulos.

Kutulas: Das ist zu vergleichen mit der Rolle von Goethes Werther ...

Ganz genau das ist es. Genau dasselbe passierte in Griechenland ein Jahrhundert später mit der Herausbildung der griechiechischen Gesellschaft.


"Wie ruhig Du schläfst"
Dieses Lied habe ich in Tripolis geschrieben, während meiner reifen – “klassischen” – Periode von Tripolis, so um 1943. Ich leitete damals den Kirchenchor von St. Barbara; darum ist es dreistimmig angelegt. Wir hatten daraus eine Kantate gemacht und sangen sie sehr oft. Auch mein Freundeskreis rekrutierte sich zum Teil aus Kirchenchormitgliedern und darum sangen wir Kantaten, wann immer wir uns trafen. Jeder von uns hatte eine Freundin und so stellten wir uns unter ihren Balkonen auf und sangen Kantaten. Wir hatten ein großes Repertoire, und ich dirigierte die Jungs. Es waren immer so zwischen 12 und 20. Dieses Lied gehörte zu unseren schönsten … Es geht auf einen Text von Angelos Vlachos zurück. In unserer Version habe ich einen Fehler im Text entdeckt. Hier steht “schwarzbetucht”, aber richtig ist “schicksalsgebracht ...” – das ist sehr schön.
Wir besaßen damals viele Gedichtbände. Ich las damals unglaublich viel und so fand ich diesen Text in einem Vlachos-Gedichtband. Genauso vertonte ich Gedichte aus einem Heine-Buch.
Um 1937/38 fand ich noch in meinen Griechischlehrbüchern Texte, um sie zu vertonen, aber in Tripolis las ich schon die Bücher aus der Bibliothek meines Vaters und wählte daraus Texte aus. Wir hatten die gesammelten Werke von Solomos, von Palamas, von Vlachos, von Heinrich Heine, Goethe, Schiller. Wir besaßen Bücher von vielen Dichtern. Ich las viel und was mir gefiel, vertonte ich. Wie gesagt, in Pirgos hatte ich noch nicht damit begonnen, die Bibliothek meines Vaters durchzuforsten. Ich entdeckte sie erst später.


"Die umgepflügte Erde meines Gartens"
Dieses Lied schrieb ich 1945, gleich nach dem Krieg. Damals lebte ich im Athener Stadtviertel Nea Smyrni. Ich komponierte Kunstlieder, unter anderem vertonte ich auch einige Texte von Griparis. Ich schrieb damals für einen Chor – ich weiß nicht mehr genau für welchen, auf jeden Fall war es als Chorlied konzipiert. Es hat einen sehr eigenen Charakter.

Kutulas: Aber es handelt sich um einen demotischen Text?

Ja, das ist richtig. Ich habe mich damals sehr mit diesem Lied beschäftigt. Es gibt mehrere Fassungen davon. Es ist 1945 aufgeführt worden, ich glaube durch den EPON-Chor. Aber etwas später fing der Bürgerkrieg an und ich vergaß dieses Lied völlig. Ich fand es erst viel später zwischen meinen Papieren wieder. Dieses Lied weist einige harmonische Wendungen auf, die zum ersten Mal in meiner Musik auftreten. Es ist für mich ein seltsames Werk, denn es ragt aus seiner Zeit heraus und kündigt Dinge an, die ich erst später in meiner Musik umgesetzt habe. Eine ähnliche Stimmung findet man auch in den damals entstandenen “Ödipus Tyrannus” für Streichorchester und dem Oratorium “Margarita”. Das sind seltsame Zufälle, die einen neuen Weg für meine Musik ankündigten.


"Gute Nacht"
An dieses Lied erinnere ich mich überhaupt nicht. Es muss 1947 geschrieben worden sein, kurz bevor ich verbannt wurde. Ich war damals Musiklehrer an einer Privatschule. Dort komponierte ich nach dem Unterricht meine Lieder, und wahrscheinlich schrieb ich an einem dieser Nachmittage auch dieses Lied. Das war wieder eines dieser Lieder für Frau Metaxa, die Rundfunkredakteurin, denn jedes Lied bedeutete für mich ein Mittagessen, und zwar ein gutes Essen. Das war zu der Zeit, als ich oft mit dem Maler Jannis Zaruchis zusammen essen ging.


"Im Schaufenster"
Es war nach dem Bürgerkrieg Anfang der fünfziger Jahre. Ich arbeitete als Journalist. Es gab eine sehr bekannte Rundfunksendung von Antigone Metaxa. Eine Texterin im Rundfunk brachte mir immer Liedtexte, die ich dann für den Festpreis von 50 Drachmen vertonte und sie Antigone Metaxa für ihre Sendung gab. An diese Lieder erinnere ich mich kaum, weil ich sie sehr schnell schrieb – einfach um Geld zu verdienen. Ich hab etwa fünfzig solcher Lieder komponiert, von denen nur drei, vier durch die Sendungen von Frau Metaxa die Zeit überstanden haben.


© Asteris Kutulas

 

Kostas Chatzopoulos
Herbst

Lass rings um dich den Herbst ausbreiten
seine farbschwere Blütenfülle.
Ein Leben schwindet, ein Atem verfliegt.
Mag sein, dass ein Frühling dich wieder erwartet.

Lass rings um dich den Herbst verströmen
die Düfte seiner gesammelten Kraft.
Ein Leben schwindet, ein Atem verfliegt.
Und kein Frühling sieht je mich wieder.


***

Kostis Palamas
Da sind nicht nur die Nachtigallen

Da sind nicht nur die Nachtigallen,
die Baumkronen in Tempel verwandeln,
die gar den flüchtigen Augenblick
in stetes Wohlgefalln verkehrn.

Da sind unterm Himmel noch andere Vögel
mit Stimmen, die die Helle salben,
Vögel, deren Hiersein ein Moment der Anteilnahme ist,
Anteilnahme, die, kaum dass sie uns gilt,
sich schon ans Nächste verliert.

Da sind unterm Himmel noch andere Vögel
und Lieder, die zitternd
gleich inbrünstgen Stimmen
aufsteigen zu den Lippen
- und sich dem Erklingen doch immer versagen.


***

Georgios Drossinis
Abendmesse

Im Hort der verlassenen Kapelle
malt Bilder des Frühlings
ein göttliches Öllicht,
wenn es die Wildblumen des April
sich der Zeit öffnen lässt.

Die Sonne am Abend
vor des Heiligtums Pforte
tritt ein zum Gebet,
das Haupt gesenkt,
und entfacht mit blitzendem Funken
ein helles Licht für die Nacht.

Es verströmen ihren Atem
Lorbeer, der sich ins Mauerwerk krallt,
und Weihrauch, der zehrt und verzehrt wird
von des Glaubens Flamme.
Und aus einem Schwalbennest,
gebaut in die Höhe der Vorhalle,
schlüpft das Vaterunser.


***

Vassilis Rotas
Frieden

Es übernimmt der Frieden das Zepter
und die Natur feiert sich selbst,
es feiern der Kindheit Entwachsene,
es feiern der Kindheit Verbundene,
es erheben sich Himmel und Fluren.
Ach Irini, Frieden du, schenke dich den Jüngsten,
dass sie den offenen Kriegen entgehn,
des Lebens letztem Wort
und der Seelen Folterbank.


***

P. Granitis
Gute Nacht

Gute Nacht, Kind, gute Nacht, lass dich gleiten in den Schlaf.
Gute Nacht, Kind, gute Nacht, sinke in des Traumes Tiefen.
Wieder leuchtet uns der Mond
magisch wie ein Nachtlicht.
Gute Nacht, Kind, gute Nacht, wende deinen Blick nach innen.
Gute Nacht, Kind, gute Nacht, auf den Zweigen wippt der Wind.


***

Unbekannter Autor
Das Schiffchen

Schiffchen, du schneidest, schneidest den Gischt,
und des Winds langmütiger Atem wölbt dein weißes Segel.
Über des Wassers Spiegel fliegst du, bist schon aus der Welt.
Schließ uns nicht in dein Vergessen,
am fernen Ufer erinnere uns.
Kehr schnell zurück, urplötzlich
tauch aus deiner Abwesenheit.

Entzogen der Nähe unseres Strandes, helllicht und leicht
schneidet das Schiffchen den Gischt.


***

Aristotelis Valaoritis
Die Weinranke

Es klagt eine Ranke des wilden Weins,
die Dutzende Male schon mühsam ergrünte.
Sie rügt den zudringlichen Baum,
dessen Blick unablässig auf ihr liegt,
Platanenbaum, der seinen Schatten
über sie wirft, von morgens bis abends.

Du Baum voll hochfahrendem Stolz, im Wind
peitschen unbändig deine Zweige.
Ward dir das All mit der Zeit zu eng?
Lässt Stern und Wolke dir keinen Platz?

Es labt deine Wurzel das frische Wasser,
und trotzig verschattest du mehr noch den Raum.
Neidest du mir im Maß deiner Größe
das schreckhafte Kosen der Kühle?

Was, Platanenbaum, willst du von mir?
Nimm fort deinen Schatten; ich bin noch zu schwach.
Mein Grün verkümmert, halt’s länger nicht nieder.
Lass endlich zu, dass auf mein Laub
die Sonne ihre Lichter setzt.


***

Fotis Aggoules
Wiegenlied

Ruh aus, mein pures Morgenrot, wolkenversperrtes,
schmerzzerrissnes.
Dein Schicksal wird jetzt von Zwergen gelenkt,
ruh aus und schlafe ein.
Schlaf, schlaf ein, mein Herz, mein Kind,
schlaf ein, mein kleines griechisches Mädchen.
Schlaf ein, erjagte Nachtigall,
unterm Schnee erstickter Jasmin.
Und siehst du auch einen bösen Traum, schlafe,
durchschlaf alle Lebenszeit.
Denn schlimmer als das, was der Tag dir zeigt,
kann kein Albtraum sein.


***

Antigone Metaxa
Im Schaufenster

Die Puppe im Schaufenster lacht uns an
und grüßt die Mädchen mit offenen Armen.

In die Augen schau ich dir, hindurch noch durch die Scheibe aus Glas,
als hielte ich dich, kleine Dame, ganz fest in meinem Arm.


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Traditionell
In die aufgerissne Erde meines Gartens

In die aufgerissne Erde meines Gartens
haben sich Margariten gesät.
Von Alleen bist du, mein Garten, gerahmt,
und aus deinem Herzstück spriest Majoran.

Am Punkt deines Nabels ein Apfelbaum,
krummgebeugt, als wolle er stürzen.
Es geht ein Junge Äpfel pflücken,
und es welkt das Laub.

Aufschreit die Seele des Baums
und tadelt den Gärtner:
- Du bist mir der Herr, der mich regiert,
und Herrin, die mir das Wasser zuteilt.
- Ich bin der Herr, der über dich wacht,
und Herrin, die dir Wasser bringt.


***

Angelos Vlachos
Wie ruhig sie schlafen

Wie ruhig schlafen Erde und Meer,
der Stille schwarzer Organza
liegt auf den Kronen der Wälder.
Lautlos und duftend die Bergeidechse
und sternenbestreut das Himmelszelt.
Es ergab sich dem Schlaf die Nachtigall
in des Veilchendufts Umarmung.
Und die Rauchschwalbe hat erdacht
das Flechtmuster ihres Nests.

© Übertragen von Ina und Asteris Kutulas

 

 

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