Musik als gelebter Widerstand

Eine Collage zu drei Lied-Zyklen von Theodorakis aus der Zeit der Diktatur

„Lieder für die Patriotische Front“, Texte: Mikis Theodorakis
„Im Belagerungszustand“, Text: Rena Chatzidaki
„Marsch des Geistes“, Text: Angelos Sikelianos

Erlass Nr. 13 der Armee: 1. Wir haben beschlossen und befehlen: Es ist im ganzen Land verboten, Musik und Lieder des Komponisten Mikis Theodorakis ... zu verbreiten oder zu spielen, diese Musik ist u.a. als Bündnis mit dem Kommunismus zu betrachten ... 2. Die Bürger, die dieser Bekanntmachung zuwiderhandeln, sind sofort vor Sondergerichte zu stellen und werden dort nach dem Paragraphen „Belagerungszustand“ verurteilt. (Athen, den 1.6.1967, General Odisseas Angelis)

Die Junta zwischen 1967 bis 1974 mit ihren Dogmen und ihrem feudalen Gebaren, der Sprung zurück ins Tierreich, vor in die westeuropäische Zivilisation, “Wir gehören zum Westen”, natürlich, wohin denn sonst?, american way of life im griechischen Fernsehen und im griechischen Dorf, das furiose Comeback der rebetischen Musik, der „intellektuelle Widerstand“, aber Wallraff auf dem Verfassungsplatz, angekettet, später in Ketten gelegt, im Land verstummende Dichter, anderen der Mund gestopft mit verschiedensten Gegenständen, andere verbannt auf die Inseln Leros und Jaros, der Tod von Seferis und Lukács, im gleichen Jahr, 1971, Panagulis' fehlgeschlagener Anschlag auf den Obristen-Chef Papadopoulos unweit Kap Sounion, dem antiken, vom Meer umspülten Tempel, gebaut von den Athenern, Poseidon zu ehren, ihn umzustimmen, seinen Hass auf sie, die der Göttin Athena den Vorrang gaben, obwohl er ihnen siegreiche Feldzüge und viele Eroberungen versprochen; hatte der etwa aus mythischer Vergangenheit seine Hand schützend über den Diktator gehalten?, der nach dem Anschlag weiterfuhr in die Hauptstadt, die Vision von einem Neuen Griechenland verkündete und wenig später seinen Gefangenen Theodorakis mitsamt Familie ins Bergdorf Zatuna verbannen ließ, wo dieser von den offenen, längst eiternden Wunden erfuhr: vom Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR, wenig später von der Spaltung der Kommunistischen Partei Griechenlands. Dieser Belagerungszustand treibt heraus „rhetorisierende“, endlose Kompositionen, anklagend, desillusioniert, tröstend, ineinander fließende Melodien, im Gefängnis, unter Hausarrest, später in Zatuna, dem Dorf inmitten apokalyptischer Bilder, heimlicher Radiosender, abgesperrter Straßen, zerklüfteter Schluchten, inmitten des Menalos-Gebirges. Die Demokratie eingegipst, Seferis’ Wahnvorstellung von einer zu Werbezwecken missbrauchten Akropolis, immerhin artikulierbare Laute, Verpflichtung für Dichter, die jetzt ihre Lippen fest schlossen, die wenigsten die Faust, und die in den Jahren vorher – zum ersten Mal vielleicht auf diese Weise, in solch einem Umfang – erfuhren, was das ist, ein Publikum, mehr als nur zweihundert, vierhundert Leser, mehr als nur verständiges Kopfnicken, was das ist, „gebraucht“, aufgenommen, erkannt: Theodorakis hatte mit seiner Musik die Dichtung aus den dunklen, verstaubten Bibliotheken an die frische Luft geholt und sie „bis auf den Tisch der einfachen Leute, neben Glas und Brot“ gebracht. Ritsos wusste, wovon er sprach, sein „Epitafios“-Gedicht war 1960 der Beginn, Seferis- und Elytis-Vertonungen folgten, auch jüngere Dichter, berühmt geworden durch Theodorakis, sie alle, in Griechenland. Er war und blieb ihr treuer Diener. Das Dogma der Melodie: „Am Anfang war das Wort! Diese Wahrheit hat für mein gesamtes Werk unumschränkt Gültigkeit“, und das zur Zeit der Kafka-Konferenz von Prag und der Beatles in London und in den USA, wobei das andere sich schon ankündigte: Abgebrochener Marmor, Ersetzt Durch Gips Oder Zement, schon ausgearbeitet der Prometheus-Plan, Ordnung ist das erste Bürgerrecht, die mythologische Figur auf den Kopf gestellt, auf die Füße, sagten die meisten und gingen ihrer Arbeit nach, über zur Tagesordnung, auch am 21. April 1967, als Prometheus ihnen den Himmel brachte, schwarzen Vogel auf glänzenden Helmen.

Theodorakis ging am 21.4.1967, als die Obristen in Griechenland putschten, in die Illegalität und tauchte zunächst in der Wohnung von Leloudas im Stadtteil Kolonaki unter. Dort verfasste er bereits einen Tag nach dem Putsch den ersten Aufruf gegen die Junta. Einige Tage später bat er bei einem konspirativen Treffen um zwei Tonbandgeräte. Nachdem er sie bekommen hatte, nahm er vier unmittelbar unter dem Eindruck des Militärputsches entstandene „Lieder für die Patriotische Front“ auf. Die zwei Tonbandgeräte benutzte er, um durch mehrmaliges Übereinander-Aufnehmen der Songs einen Chor zu „erzeugen“. Zugleich schlug er den Rhythmus mit einem Lineal auf den Tisch. Diese Aufnahmen wurden aus Griechenland geschmuggelt und gingen in der Interpretation von Melina Mercouri, die all ihre damaligen Konzerte mit diesen Liedern begann, um die Welt. Theodorakis selbst war bis zu seiner Verhaftung am 21. August 1967 im Untergrund gegen die Junta tätig.

„Als ich nach meiner Verhaftung im Gebäude der Athener Sicherheitspolizei eingesperrt war, befand sich Marina, eine Mitgefangene, zusammen mit einem anderen Mädchen auf demselben Gang gegenüber der Zelle 1. Während meines Hungerstreiks hörte ich, wie sie den Gefängniswärter anschrie ... Sie schrieb zu dieser Zeit im Gefängnis ein unvergleichlich schönes, mutiges und wahres Gedicht. Als ich es zu lesen bekam, war ich von jedem Wort, jedem Bild, jedem Symbol zutiefst ergriffen. Ihre Worte wühlten mich auf. Trösteten mich. Befreiten mich. Das war unsere Stimme. Unsere Hoffnung, die, wie es in dem Gedicht heißt, ‚eine faulende Traube geworden war‘. Das war unser Zorn. Unsere Bitterkeit. Aber auch unsere Stärke.“ (Mikis Theodorakis, Aus den Tagebüchern)

Rena Chatzidaki, der Theodorakis das Pseudonym „Marina“ gab, um sie vor Repressalien zu schützen, hatte im Gefängnis viele Gedichte geschrieben, vernichtete sie aber in ihrem Wahn sofort anschließend. Nur ihrer Mitgefangenen Athina, die jedes Wort gewissenhaft abschrieb, ist es zu verdanken, dass Theodorakis einige der Texte bekommen konnte. Dem hier vertonten Text gab er den Titel „Im Belagerungszustand“. Das Gedicht thematisiert die bittere Enttäuschung über das Versagen der griechischen Linken nach dem Putsch, und auch darüber, dass das anarchische griechische Volk sich von ein paar lächerlichen Militärmarionetten vorschreiben ließ, was es zu denken, wie es zu handeln und welche Musik es zu hören hatte. Diese düstere, abgeklärte Stimmung traf Theodorakis mitten ins Herz.

Am 27.1.1968 wird er unter strengen Polizeiauflagen aus dem Gefängnis entlassen. In seiner Wohnung im Athener Stadtteil Nea Smyrni und in seinem Sommerhaus in Vrachati in der Nähe von Korinth vertont er im März den ersten Teil von Marinas Gedicht. In Vrachati, wo er etwas später von der Junta unter Hausarrest gestellt wird, schreibt er auch die Musik zum zweiten und dritten Teil des Marina-Gedichts. Es entsteht ein „chanson fleuve“, ein „Lied-Fluss“, in drei Teilen. Der ursprüngliche Titel hieß „Frauengefängnis Averof“, weil das Gedicht nach der Verurteilung von Rena Chatzidaki durch das Militärgericht entstanden war. Theodorakis nahm das gesamte Werk auf Tonband auf, um seine Intention kenntlich zu machen, und ließ die Aufnahme zusammen mit den Noten nach Frankreich schmuggeln, wo sein Komponistenkollege Jannis Markopoulos eine Orchestrierung vornahm und das Werk, gesungen von Maria Farantouri, auf Schallplatte veröffentlichte.

Am 21.8.1968 wird Theodorakis von seinem Haus in Vrachati abgeholt und in das arkadische Bergdorf Zatuna verbannt. Diese Verlegung dient der absoluten Isolation des prominentesten Gefangenen der Junta. Ein winziges Dorf in 1.600 Metern Höhe mit einem einzigen Gefangenen und seiner Familie, bewacht von fast 30 Gendarmen. Unter diesen Umständen entsteht im Februar 1969 die Komposition „Marsch des Geistes“ nach einem Gedicht von Angelos Sikelianos.

„Ich höre die eherne Stimme des Dichters Angelos Sikelianos: ‚Vorwärts, ihr Schöpfer!‘ Ich sehe ihn, einen riesenhaften Engel, zwischen den Wolken hin und her gehen. Ich sehe, wie er auf stürmischen Wegen voranschreitet: ‚Vorwärts, helft uns, die Sonne in Griechenlands Himmel zu heben!‘ Dieser Vers von Sikelianos reißt mich wie ein Strudel mit sich fort. Draußen schneit es. Ich bin allein. Die Wachen schlottern. Ich rufe sie herein. Drinnen ist es warm. Ich biete ihnen Branntwein, Nüsse und getrocknete Feigen an. Sie legen ihre Mützen ab. Ich setze mich ans Klavier und komponiere. Sie machen große Augen. Bitten mich: ‚Nochmal von vorn ...‘ Ich wiederhole das Gedicht von Sikelianos von Anfang an und gehe über zur Partitur. Eine neue Runde Branntwein. Schnee liegt auf den Nussbäumen. Ich höre auf zu komponieren. ‚Wie wär's mit einem Gang ins Café?‘ Sie halten nichts davon. ‚Nein, spielen Sie weiter!‘ Ich mache mich erneut an die Arbeit. Ich schreibe das Notenpapier voll. Die Branntweinflasche ist leer. Es hat aufgehört zu schneien. Wir treten aus dem Haus, das Gesicht gerötet, trunken vom Alkohol und von der Musik. Wir bahnen uns einen Weg durch die verschneite Straße. Wir betreten das Caféhaus. ‚Jannis, ich schmeiß eine Runde für alle!‘ – ‚Was ist los mit dir? Heiratest du?‘, ruft mir Chronis zu. – ‚Jawohl! Ich habe gerade meine Musik mit Sikelianos’ Versen vermählt ...‘ Und einer der Wächter, dem nichts von meiner Arbeit entgangen ist, ruft: ‚Vorwärts! Helft uns, die Sonne über Griechenland emporzuheben!‘ Nun lässt sich Lambis hören: ‚Die Runde geht auf mich. Nehmen wir noch Vorspeisen dazu!’
Aber ich stehe erst am Anfang meiner Arbeit. Am folgenden und an den übernächsten Tagen schließe ich mich im Haus ein. Über eine Woche. Die Bewacher wundern sich. Sie zeigen Interesse, unterhalten sich über das entstehende Werk, steigen die Treppe hoch, um einige Brocken aufzuschnappen. Lambis bringt mir zu essen, damit ich nicht verhungere. Alle sind sich dessen bewusst, dass ich mich in einer anderen Welt befinde, und zeigen sich beeindruckt. Die Schneedecke ist jetzt einen Meter hoch. Ich öffne die Tür zum Balkon. Die Luft kristallklar. Die Gendarmen haben vor dem Haus von Frau Fotini, der Nachbarin, ein Feuer entfacht. ‚Und?‘, fragt sie mich. ‚Es ist vollbracht!‘, rufe ich ihr zu.“ (Mikis Theodorakis, Aus den Tagebüchern)

Angelos Sikelianos (1884-1951) war der Dichter der „totalen Poesie“, ein Anbeter der orphischen Mystik. 1924 lässt er sich mit seiner Frau Eva in Delfi nieder, wo er die Wiedergeburt der Delfischen Idee betreibt und Delfische Festspiele organisiert. „Durch seine Stimme wird wie beim Jüngsten Gericht einer völlig vergessenen und verschütteten Welt Ausdruck verliehen, die ihre Wurzeln in den Gefühlen der Menschen und in einer griechischen Natur hat, die mit der Unmittelbarkeit des ersten Augenblicks atmet.“ (George Seferis)

1948, drei Jahre vor seinem Tod, inmitten der Wirren des griechischen Bürgerkriegs schrieb Sikelianos das Gedicht „Marsch des Geistes“. Sikelianos war ein nationaler Poet – als solchen verstand und interpretierte ihn Theodorakis in seiner Komposition „Marsch des Geistes“. Er begriff den Text als Aufruf an die griechische Nation, gegen die faschistische Militärjunta aufzubegehren. Und er folgte dem Dichter auch in dessen Verständnis, dass der Tod nur durch den Eros überwunden werden könne, wobei der Tod selbst als Weg zum Eros gilt. Für Theodorakis entstand mit diesem Werk die Keimzelle seiner Theorie des „Lyrismus“ und der „Lyrischen Tragödien“, wie er seine Opern Anfang der neunziger Jahre genannt hat. Zeugnis dieser Auffassung ist auch die eigenwillige erste – noch in Zatuna entstandene – Interpretation seines Werks, die auf der CD „Resistance“ dokumentiert wird.

© Asteris Kutulas, 2005

 

Die hier besprochenen Werke von Mikis Theodorakis entstanden während der Obristendiktatur in Griechenland – nach dem Militärputsch vom 21.4.1967. Sie sind zugleich Musik und gelebter Widerstand. Sie sind Schrei, Verzweiflung, Hoffnung.
Aufgenommen mit einem einfachen Tonband unter den Bedingungen von Illegalität, Hausarrest, Verbannung. Zeugnisse eines Zustands, bei dem es um Leben, Tod und Würde geht. Ich veröffentlichte sie mit Einverständnis von Mikis als historische Dokumente einer dunklen Zeit bei Intuition:

Mikis Theodorakis, Resistance/ Historical Recordings, Produced by Asteris Koutoulas, Intuition Music & Media, 2006

 

 

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